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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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hindurchblickte.
    »Tja«, sagte sie schließlich. »Es ist natürlich richtig, alles zu berücksichtigen. Aber Finne hätte Laukkanens Zimmer nicht ungesehen betreten können. Und kräftemäßig wäre er einem so viel jüngeren Mann wohl auch nicht gewachsen.«
    »Ich habe gesehen, wie er Laukkanen im Aufenthaltsraum etwas ins Ohr geflüstert hat.«
    »Und was hat er geflüstert?«
    »Weiß ich nicht. Er hat zu leise gesprochen.«
    Groos spitzte die Lippen und nickte langsam.
    »Und daraus schließen Sie, dass …«
    Mikael spürte die Wut zuerst an den Schläfen. Hielt die Frau ihn etwa für einen Idioten?
    »Gar nichts schließe ich daraus«, sagte er, »aber ich habe den Eindruck, dass Finne sich ganz gut darauf versteht, andere Menschen zu manipulieren. Das wissen Sie wahrscheinlich selbst.«
    »Nein, das weiß ich nicht«, entgegnete Groos. Zum ersten Mal sah sie nicht so aus, als wäre sie in Gedanken längst woanders, als würde sie gleich aus dem Stationszimmer marschieren, um Wichtigeres zu erledigen. »Erzählen Sie.«
    Mikael sah sich wieder von oben, aber diesmal sehr deutlich. Ein müder Mann, der nicht bei seiner Frau zu Hause war, sondern im Nachtdienst auf Station und im Begriff, sich in die Bredouille zu bringen, indem er der Chefärztin erzählte, wie ein Patient ihn geheilt hatte.
    »Na ja, er ist …«, begann er, ohne zu wissen, wohin sein Satz führen würde. »Er bringt seine Geschichten ziemlich überzeugend vor. Manchmal habe ich das Gefühl, er treibt irgendein Spiel.«
    »Was für ein Spiel sollte er denn treiben?«, fragte Groos. »Der Mann ist über achtzig und über seine Aktivitäten wird täglich Bericht erstattet.«
    Mikael kehrte auf den Boden der Realität zurück. Die Kollegen der Klinik waren wie Anker, die diejenigen, die abhoben, daran hinderten, zu entfliehen.
    »Ja«, sagte er erleichtert. »Wahrscheinlich rede ich vor lauter Müdigkeit Unsinn. Es war ein anstrengender Tag.«
    Groos sah ihn eine Weile schweigend an, als suchte sie nach Worten. Sie umklammerte die Kaffeetasse mit beiden Händen.
    »Manchmal muss man es einfach …«, begann sie.
    Eine Weile lang mühte sie sich mit einem Gedanken ab, ließ ihn dann entschwinden, senkte den Blick. Mikael musterte ihr Gesicht, versuchte, zu helfen.
    »… gut sein lassen?«, fragte er.
    Groos blickte auf und nickte. Mikael spürte, dass er ihr nicht ganz die richtigen Worte angeboten hatte, aber nahe herangekommen war er. Vielleicht gab es keine Worte. Das zu begreifen war auch eine Verbindung, vielleicht stärker, als man zunächst glaubte. Sie wussten, dass das Leben viel zu mysteriös war, um es mittels Berichten, weißen Kitteln oder Medikamenten hinters Licht zu führen. In der feuchten Luft Argentiniens schlug ein namenloser Mann in der Finsternis die Augen auf, lächelte über das, was er sah.
    »Also schön, das war’s dann«, sagte Mikael und schlug die Augen nieder, suchte einen unverfänglichen Fixpunkt auf dem Tisch.
    »Gut«, antwortete Groos, blickte in ihre Tasse und trank einen großen Schluck. »Gute Nacht«, sagte sie dann und reichte Mikael die leere Tasse. Er nahm sie und ging hinter seiner Chefin aus dem Stationszimmer.
    Als die Stationstür hinter ihr zugefallen war, blieb Groos im Treppenhaus stehen. Mikael sah sie durch das Drahtgitter der Scheibe wie auf Millimeterpapier. Eine aus Hunderten kleinerQuadrate zusammengesetzte Frau, die unter allen denkbaren Formen gerade diese eine angenommen hatte.
    Groos drehte sich um und sah ihn an.
    Wortlose Verbindung.
    Und dann ging sie nicht in Richtung Ausgang, sondern stieg die Treppe ins Kellergeschoss hinunter. Die Treppe war geschwungen, sodass Groos Mikael noch einmal das Gesicht zuwandte. Ihre Blicke trafen sich erneut.
    Mikael blieb lange stehen; er spürte, dass er eine Schwelle erreicht hatte.
    Dann ging er in den Pausenraum. Hirvonen war bereits aufgestanden, rieb sich die Hände und verzog den Mund wie eine Katze, die sich nach der Mahlzeit putzte.
    »Ich muss kurz in den Keller«, sagte Mikael und stellte Groos’ Kaffeetasse auf die Spüle. »Kommst du einen Moment allein zurecht?«
    »Was hast du vor?«, fragte Hirvonen.
    »Es dauert nicht lange«, wich Mikael aus, zog, ohne noch eine Reaktion abzuwarten, seinen Spindschlüssel aus der Tasche und verließ den Pausenraum. Seine Bestimmtheit war so fest, dass sie beinahe befremdlich wirkte. Er sah Hirvonens vor Verwunderung erstarrtes Spiegelbild im Fenster der Stationstür, ging aber zielstrebig

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