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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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    »Wo warst du?«, fragte Reijo, sobald Olavi in Sicherheit war. Auch sein Kopf war in Gefahr gewesen. Wer einen Ausreißer deckte, wurde streng bestraft.
    Olavi schwieg, doch Reijo erriet die Antwort.
    »Bei einer Frau«, sagte er. »Gib’s zu.«
    Nach all der Aufregung klang Reijo schwach wie ein verweintes Kind. Olavi schämte sich, weil er seinen Freund dieser Qual ausgesetzt hatte. Er hätte gern gesagt: Ich stecke jetzt in einem so großen Räderwerk, dass ich nicht anders handeln kann. Selbst wenn es uns beide das Leben kostet.
    In der Nacht wurde Olavi von einem rhythmischen Quietschen geweckt. Die Federn des oberen Betts. Das Geräusch war leise, doch der Rhythmus verriet, dass Reijo sich selbst befriedigte. Im Soldatenleben gab es reichlich Einsamkeit, aber kein Fitzelchen Privatsphäre.
    Als das Quietschen aufhörte, waren stoßweises Atmen und das Hochziehen von Rotz zu hören. Dafür braucht man sich nicht so zu schämen, hätte Olavi gern gesagt, doch das gehörte sich nicht. Vor dem Einschlafen erinnerte er sich an das dämmrige Zimmer und an die Augen der Frau. Er empfand keine Scham, bereute nur, dass er sie nicht nach ihrem Namen gefragt hatte.

35
    Die Wohnung war nicht furchterregend geworden. Saana war nicht furchterregend geworden. In dieser Hinsicht war die Welt gut geordnet.
    An dem freien Tag, den Mikael als Ausgleich für seinen Nachtdienst bekommen hatte, verhielten sie sich wie immer. Sie taten, was zu tun war, wenn sie sich beide am selben Ort befanden. Dieser Ort konnte eine Wohnung sein oder eine Uferstraße am anderen Ende der Welt, umgrenzt oder grenzenlos. Sie hatten ihre Rollen so gut gelernt, dass sie nicht nachzudenken brauchten. So war der Affe, er lernte, wie die Welt funktioniert, und nahm sich seinen Schlaf, sein Essen und seine Wärme.
    Vielleicht gab es nichts anderes. Vielleicht gab es nur diese erlernten Bewegungsbahnen und wechselnden Masken, in deren Schutz man Menschen und neuen Landstrichen begegnen konnte. Mikael hatte darüber schon vor Jahren nachgedacht, als er für die Anatomieprüfung gebüffelt hatte, Augen und Finger fahrig von den Koffeintabletten. Der Mensch war ein Arrangement, eine Anordnung von Dingen, die sich der Welt anpasste wie ein im Wind flatternder Fetzen Plastik. Im Innern des Menschen gab es nur die notwendigen Organe. Nichts, was jemanden angriff oder überkochte.
    An seinen freien Tagen fand Mikael zwei neue Wege, sich seiner Welt anzupassen.
    Beim Zähneputzen vermied er es, Saanas Tablettenschachteln anzusehen. Das war leicht, er brauchte nur die rechte Türdes Badezimmerschranks geschlossen zu lassen. Nachts verwendete er Ohrstöpsel, beklagte sich bei Saana über den Verkehrslärm, vor allem über die Laster, die in den frühen Morgenstunden vom Hafen kamen. Den Atem, sein Stocken, die schläfrigen Worte, die wie Fragen klangen, erwähnte er nicht.
    Am Abend des letzten freien Tages rief Autio an. Mikael erkannte die Nummer der Station auf dem Display und zögerte, bevor er sich meldete.
    »Komm doch mit in die Kneipe«, sagte Autio fröhlich, im selben Ton, in dem man einem erschöpften Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung in Aussicht stellt. Sicher wusste er, dass Mikael das Telefon die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, während es klingelte.
    »Wir treffen uns um sieben im ›Alten Meister‹, wollen mal wieder ein Quiz spielen. Außer den Spätdienstlern kommen alle mit. Sogar Helminen verzichtet einen Abend lang darauf, sein klappriges Boot zu küssen.«
    Mikael lehnte automatisch ab, doch Autio gab nicht auf.
    »Komm schon, es tut allen gut, sich auch mal in der Freizeit zu sehen.«
    »Aber ich habe morgen Frühdienst«, machte er geltend.
    »Du hast morgen Spätdienst«, entgegnete Autio bestimmt.
    »Nein.«
    »Doch. Ich habe den Dienstplan vor mir. Und da steht eindeutig, dass dein Frühdienst gegen den Spätdienst ausgetauscht wurde. Kann sein, dass ich das selbst gemacht habe, vor ungefähr drei Minuten.«
    »Sind denn dann morgen früh genug Leute im Dienst?«, fragte Mikael. In Gedanken sah er die pseudobritische Einrichtung des »Alten Meisters« vor sich und die Diskolampen über der kleinen Tanzfläche, die ihn an die Aula der Grundschule erinnerten. Das Bild erschien ihm zutiefst sinnlos.
    »Aber ja. Nach Laukkanens Selbstmord ist der Dienstplanziemlich durcheinandergeraten, deshalb wäre morgen früh einer zu viel da gewesen.«
    Mikael überlegte, ob er Saana als Ausrede benutzen sollte, doch das widerstrebte

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