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Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Leichentücher: Psychothriller (German Edition)

Titel: Leichentücher: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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umgebracht. Als die Eltern nach Hause kamen, saß Finne mit blutbeschmierten Händen auf dem Sofa und stierte immer noch auf den Fernseher. Was wurde wohl an dem Abend immer wieder gezeigt? Sogar ich erinnere mich daran, obwohl ich mir absolut nichts aus Eishockey mache.«
    Mikael stierte auf Groos’ Brüste, bis ihm plötzlich bewusst wurde, wohin sein Blick fiel. Er dachte an die zarten Härchen, stellte sich vor, wie Hannele Groos sie von Zeit zu Zeit mit gefurchter Stirn im Spiegel inspizierte. Sie mit einer Pinzette ausrupfte, ans Licht hielt und sich besorgt fragte, ob sie dunkler geworden waren. Das waren magische Momente, Momente, die niemand miterlebt hatte.
    »Er dissoziiert den Mord, aber in irgendeinem Winkel seines Schädels ist die Tat natürlich doch hängen geblieben. Er erinnert sich an die Zahlen. Gibt ihnen eine magische Bedeutung, verknüpft sie mit seinen Wahnvorstellungen. Als Pflegermüsstest du so etwas riechen, vor allem bei einem Patienten, der dir zugeteilt ist. Wenn du dich bequemt hättest, die Berichte von Finnes vorigem Pfleger von Anfang bis Ende zu lesen, wäre der Sachverhalt auch dir sonnenklar gewesen.«
    Groos lehnte sich seufzend zurück.
    »Der Mann da draußen ist Finnes Jugendfreund«, sagte sie. »Wenn Finne ihm begegnet, wird er mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Seine ganze Wahnwelt wird auf eine harte Probe gestellt und bricht womöglich zusammen. Ist das gut oder schlecht?«
    Mikael spürte, dass sein Hemdkragen spannte. Er entdeckte einen hellroten Fleck auf dem weißen Ärmel seines Kittels. Der Kittel sollte doch, verdammt noch mal, frisch gewaschen sein. Der hellrote Punkt geisterte noch durch sein Blickfeld, als er sein Gegenüber ansah.
    »Wenn das alles wahr ist …«, begann er, wusste aber nicht, ob er fähig sein würde, seinen Satz zu vollenden. Was zum Teufel war los? Würde auch seine Stimme brechen wie Klinges? Wer von ihnen tischte eine Lüge auf, wollte sie auftischen? Wer hatte recht? Mikael sah Zahlen vor seinen Augen, die nur Zahlen waren, beliebig, austauschbar. Dahinter verbargen sich keine menschlichen Gestalten, keine Verbindungen, keine Bedeutung.
    Er stand hastig auf, machte einen Schritt auf die Tür zu, drehte sich dann wieder um, als wollte er etwas sagen, was ihm plötzlich selbstverständlich erschien. Wie etwas, für das es Worte gab.
    »Es ist wahr«, sagte Groos in einem Tonfall, der verriet, dass sie Mikael jetzt auf andere Weise betrachtete. Nicht wie die Chefin einen Mitarbeiter, dem ein Fehler vorgeworfen wird, sondern wie eine Psychiaterin ihren Patienten. »Gib’s zu.«
    »Es ist mir ganz egal, ob es wahr ist oder nicht. Ich denke nur …«
    »Das ist dir nicht egal«, unterbrach ihn Groos.
    Mikael richtete den Blick auf das Fenster. Es hatte angefangen zu schneien. Er überlegte, ob er Groos auf dieses kleine Wunder hinweisen wollte, konnte sich aber nicht dazu aufraffen.
    »Das ist kein Verbrechen«, sagte Groos. »So etwas … kommt vor.«
    »Woher wissen wir, was ein Trugbild ist?«, murmelte Mikael. Die Schneeflocken waren zart, fast Schneeregen.
    »Wir wissen es nicht, aber die Mehrheit entscheidet. So macht man diesen Job. Hör mal, nimm dir frei. Ich kann Klinge auf die Station bringen. Da sind genug Leute, die sich um Finne kümmern können, sollte der Besuch ihn aus der Bahn werfen.«
    Hinter den Schneeflocken war ein Flugzeug zu sehen, das zur Landung ansetzte. Es sah klein und hilflos aus, kam aus Helsinki oder Stockholm, brachte Geschäftsleute und Urlauber, vielleicht auch ein paar junge Rucksacktouristen aus Kairo. Sie alle vertrauten darauf, dass die Luftströmung sich so verhielt wie immer, sie auf die Landebahn setzte. Nur einige Hüpfer, das dumpfe Dröhnen der Gummireifen.
    »Nein«, sagte Mikael. »Ich bringe ihn zu Finne.«

38
    Klinge saß auf dem Flur des Verwaltungsgebäudes, immer noch in straffer Haltung. Als ihre Blicke sich trafen, bemerkte Mikael, dass der Mund des Mannes zitterte, als wäre er darauf vorbereitet, verzweifelten Protest zu erheben.
    »Die Station ist informiert«, sagte Mikael und sah an dem Mann vorbei. »Finne wird in das Besuchszimmer gebracht. Ich möchte Sie bitten, Gespräche mit den anderen Patienten zu vermeiden, auch wenn diese vermutlich Kontakt suchen.«
    Klinge nickte. Auf seinem Gesicht war zum ersten Mal eine menschliche Regung zu sehen, eine Erleichterung vielleicht, deren Ausmaß einem Jüngeren unbegreiflich war.
    Sie gingen über den Hof. Am Fenster von Station A

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