Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
dabeigewesen, wenn es nicht ein kleines Vorhofflattern in seinem Herzen gegeben hätte. Stattdessen musste er mit den Frauen zu Hause bleiben, Frauen, die mit Soldaten ausgehen wollten, nicht mit Männern, deren Herz unregelmäßig schlug und die für ihre Väter arbeiteten. Weil er nur wenige Optionen besaß, entschied er sich für Winns Mutter, kein frisches junges Mädchen, sondern eine Frau in seinem Alter – wohlerzogen, humorlos und magenkrank. Sie waren beide wie vom Donner gerührt, als sich herausstellte, dass sie, die ja schon knapp vierzig war, auf einmal schwanger war. Die Tortur hatte sie weder Mann noch Sohn jemals verziehen. »Einmal«, erzählte Tipton, während Winn heimlich sein Ohr dem Radio näherte, »waren beide Brüder von Cort Wilder gleichzeitig auf Urlaub zu Hause. Da haben Cort und ich uns mit ihren Uniformen verkleidet, und wir sind alle zusammen ins Ballhaus gegangen. Was war das für ein Abend. Gott!« Das Wort entstieg langsam seinen Lippen und füllte sich wie eine Blase mit der Romantik und der Scham dieser einen Nacht als falscher Held – GO-OTT –, und dann verstummte er.
Die Stimme im Radio verkündete, der 7. Juni bekomme die Nummer 110. Winn sah seinen Vater über die Schulter an. »Beinahe«, sagte er.
Tipton starrte in sein Glas und drehte es, dass die Facetten des Kristallbodens das Licht fingen. »Wenn sie deineNummer aufrufen«, sagte er, »gehst du hin.« Sofort kamen Winn Tränen der Wut. Hätte man ihm die Chance gelassen, hätte er vermutlich unaufgefordert seine Mannhaftigkeit unter Beweis gestellt. Wenn meine Nummer aufgerufen wird , hätte er dann vermutlich gesagt, gehe ich hin . Und, wäre die Welt vollkommen, hätte Tipton darauf geantwortet: Nein, du bist mein einziger Sohn. Geh nach Kanada. Es ist mir gleich, was die Leute sagen . Doch Tipton hatte den sehnsüchtigen Blick, den er stets bekam, wenn er in seinen Träumen von der Vergangenheit schwelgte. Das ist jetzt nicht der Zweite Weltkrieg, hätte Winn am liebsten gesagt. So dachte keiner mehr. Er musste sich nicht als Soldat verkleiden, um an Mädchen zu kommen. Er hatte geglaubt, sein Vater, der nie im Krieg gewesen war, würde nichts dagegen haben, wenn sein einziger Sohn, sein einziges Kind, es ihm nachtat und zu Hause blieb, um ein langes, friedliches Leben zu führen. Ließe sich der Kommunismus auf einen einzigen Kämpfer reduzieren, ein Ungeheuer im roten Trikot, würde Winn seinen Leib und sein Leben in die Arena werfen wie ein Märtyrer. Doch den gemütlichen Ziegelbaumutterleib von Harvard und die Aussicht auf eine gute Karriere aufzugeben, um sich von vietnamesischen Dörflern beschießen zu lassen – nein, das erschien ihm einfach nicht richtig. Sämtliche Bekannten von Winn dachten wie er. Er argwöhnte, dass auch Tipton so denken würde, wenn es sein eigener Kopf wäre, der rasiert werden sollte, sein eigenes Leben, das unterbrochen würde, und er selber durch den Dschungel kriechen sollte. Nicht dass es dazu kommen würde, natürlich. Darauf vertraute Winn eigentlich. Wenn es hart auf hart kam, ließ sich Tipton bestimmt überzeugen, mithilfe seiner Beziehungen dafür zu sorgen, dass sein Sohn zur Nationalgarde oder zu denReservisten kam. Er würde sein Kriegervatertheater nur bis zu einem gewissen Punkt treiben. Deshalb sagte Winn, ohne seinen Vater anzusehen, okay, er werde dem Ruf Folge leisten, und dann hatten sie gewartet, und als Tipton längst eingenickt war und den klaren Rest in seinem Glas auf sein Hosenbein geleert hatte, war schließlich Winns Nummer gekommen.
»8. Juni«, sagte er zu Bill Midland. »366. Die allerletzte Zahl. Und mein Name beginnt mit V.«
Midlands Gesicht füllte sich mit Ehrfurcht. »Heiliger Bimbam. V war auch in der Buchstabenlotterie der letzte, oder? Die Kongs könnten das Weiße Haus einnehmen, ohne dass du zu den Waffen müsstest.«
»Gut gemacht, Van Meter«, sagte Denton. »Gutes Geburtsdatum.«
»Sind Sie gegen den Krieg, Mr Denton?«, fragte Jack Fenn und schnitt ein Stück von seinem Küken ab.
Denton zog verdutzt den Kopf zurück. »Himmel, nein. Dass die Russen den Mekong hinunterziehen, kann keiner wollen. Nein, ganz und gar nicht. Der Krieg muss sein, aber wir brauchen eine bestimmte Art junger Männer dort, damit alles glatt läuft. Und Sie sind, denke ich, alle eher für den Kapitalismus zu gebrauchen als in der Army.«
»Na ja«, sagte Winn im Versuch, das Thema zu beenden.
»Und wer sollte Ihrer Meinung nach kämpfen?«, beharrte
Weitere Kostenlose Bücher