Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
Jahrgang.«
»Und?« Denton blickte streng von seinem Maisbrei auf. Er gehörte bei diesen Anwärteressen zum festen Inventar, weil er einen unfehlbaren Instinkt dafür besaß, den wahren Charakter von jungen Männern zu erschnüffeln – so ähnlich wie ein Trüffelschwein.
Midland zuckte die Achseln. »Kein schlechter Kerl.«
Denton nickte. »Sie sagen es.«
Jack Fenn, der bis dahin wenig gesagt hatte, meldete sich zu Wort. »Ich habe gehört, er geht als Reservist zur Navy.«
»Was ist mit dir, Van Meter?«, fragte Midland. »Was für eine Losnummer hast du?«
Winn hatte sich nach Hause zurückgezogen, um sich die Ziehung anzusehen. Sobald er unter dem Eingangslicht des weißen Steinhauses hindurch in die hohe, kalte Halle getreten war, bereute er, dass er nicht in den Ophidian gegangen war. Die meisten Mitglieder hatten sich im Club versammelt. Gewöhnlich galt Fernsehen dort als zu profan, aber es gab ein altes Gerät oben unter dem Dach in einem Zimmer, in dem allerlei stand, das keiner mehr wollte: ein ausrangierter Billardtisch mit verblasstem Tuch und einem zu kurzen Bein, das mit einer Kugel Kerzenwachs auf die richtige Höhe gebracht wurde, eine Truhe voll mottenzerfressener Kostüme, die gelegentlich für Possen und Scharaden hervorgekramt wurden, ein uraltes Grammophon, ein Regal mit weitergereichten Fachbüchern, ein paar kaputte Lampen. Auch die Geschenke von Ehemaligen, die man nicht für wert befand, sie an prominenterer Stelle auszustellen, fanden dort ihren Platz. So gab es eine große afrikanische Trommel, mit der niemand wusste, wohin. Es gab eine Porzellanpuppe in der Uniform eines königlichen Leibgardisten und einen Globus mit deutschsprachigen Ländernamen. Den überwiegenden Anteil allerdings bildeten Schlangen. Sie lagen zu Dutzenden im Zimmer herum, überall zwischen den Büchern und Lampen verstreut. Sie waren auf Reisen in Übersee gesammelt und von unkundigen Präparatoren ausgestopft und dank starrer Glasaugen oder klumpiger Körper oder schiefer Fangzähne nach oben verbannt worden. In den unteren Stockwerken besaß der Ophidian genug Schlangen, um damit ein Museum für Herpetologie auszustatten. Aus dem Lilientrichter des Phonographen kroch eine Klapperschlange. Unter dem monströsen weinroten Lehnstuhl vor dem Fernseher, der aus je einem Schlitz in der Sitzflächeund der Rückenlehne Stopfwolle spie, lag aufgerollt eine Aspisviper.
In diesem Zimmer, diesem Hort des Ausgesonderten, hatte sich Winns wahre Familie versammelt, um der kollektiven Zählung in der Gesellschaft ihrer Wappentiere beizuwohnen, während Winn auf dem Teppich neben dem Sessel seines Vaters gesessen und wie als Kind Radio gehört hatte. Nach einer Weile war er in den Keller gegangen und hatte den Schwarzweiß-Fernseher angestellt, nur für fünf Minuten, weil er sehen wollte, wer genau eigentlich diese schauerliche Auslosung vollzog. Ein junger Mann im Sonntagsanzug trat an ein einfaches Glasgefäß, zog eine Kapsel heraus und reichte sie einer Frau hinter einem Schreibtisch. Sie öffnete die Kapsel, entrollte einen Papierstreifen und reichte ihn einem Mann im blauen Anzug und mit leichter Glatze. Der las laut das Datum vor und gab den Papierstreifen einem anderen Mann weiter, der ihn an einer langen trostlosen Tafel an seinen Platz heftete, in eine senkrechte Reihe mit identischen Streifen, neben mehrere identische Reihen, und anschließend die Zahlen noch einmal laut vorlas. Immer wenn ein junger Mann mehrere Kapseln gezogen hatte, kam ein anderer junger Mann mit Anzug und Krawatte und griff in das Glasgefäß. Die Papierstreifen wanderten rasch von Hand zu Hand, jeder der Beteiligten behielt sie so kurz wie möglich. Der 19. Mai fand seinen Platz an der Tafel (75) und dann der 6. November (76). Winn fragte sich, was wohl wäre, wenn einer der jungen Männer den eigenen Geburtstag zog. Würde er das ganze Theater verderben, weil sein Lächeln verrutschte, seine Finger zitterten? Als der 5. September gezogen worden war, rief sein Vater ihn nach oben. »Winnie«, brüllte er. »komm rauf, wir wollen uns unterhalten.«
Mit bitteren Gefühlen schaltete Winn den Fernseher aus und stieg die Treppe hinauf. Er hätte wissen müssen, dass es ihm nicht gestattet sein würde, einfach dazusitzen und der Sendung zu lauschen. Nein, er musste zum hundertsten Mal die Geschichte hören, wie Tipton mit dreiunddreißig versucht hatte, sich zum Militär zu melden. Er behauptete, er wäre bei der Landung in der Normandie
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