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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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hin. »Amazing Grace« vielleicht. Er klopfte kurz und trat ein. Eine Dampfwolke umfing ihn. Vor ihm war Biddys nackter, vom Duschen geröteter Körper, so nahe, dass er die Wärme ihres Rückens und ihre kleinen hübschen Pobacken förmlich spürte. Ein Oval, das auf dem beschlagenen Spiegel frei gewischt war, umrahmte ihre Brüste, ihren Bauchnabel, das dunkle Dreieck darunter, sein angespanntes Gesicht über ihrer Schulter. Im Winter wurde ihre Haut immer ein wenig fahl, aber das heiße Wasser hatte sie rosig gefärbt. Ihr Busen wirkte bereits voller. Um den Kopf hatte sie ein weißes Handtuch gewickelt. Ihr Spiegelbild lächelte ihm zu. Biddy, hatte er eigentlich sagen wollen, vielleicht ist eins genug. Er wollte vorschlagen, dass sie sich hinsetzten und eine Pro- und Contra-Liste machten. In der Hand hatte er einen Block und einen Kugelschreiber, und darauf hatte er bereits genug Contras notiert, um alle erdenklichen Pros abschmettern zu können.
    »Was ist?«, fragte sie. Ihr Lächeln schwand. Vielleicht hatte sie schon erraten, dass er ihr in diesen warmen dampfgefüllten Raum gefolgt war, um ihr das neue Baby auszureden. Sie hatte Creme auf der Hand, und er sah ihr zu, wie sie sich den Bauch einrieb, mitsamt den Dehnungsstreifen von Daphne, die nur sichtbar wurden, wenn im Herbst ihre Bräune schwand. »Winn?«, fragte sie. »Was ist?«
    »Was war das, was du gerade gesummt hast?«, fragte er.
    »Unchained Melody.«
    »Ach so.«
    »Und?«
    »Und was?«
    Sie nahm ein Handtuch, wickelte sich darin ein und steckte das Ende unter ihrer Achsel fest. »Was noch?«
    »Nichts Wichtiges.«
    »Was ist das?« Sie zeigte auf den Block.
    »Ich musste mir was aufschreiben.«
    »Worüber?«
    »Was für die Arbeit.«
    Sie drehte sich zum Spiegel und fragte fast beiläufig: »Freust du dich auf das Baby?«
    Winn schwieg.
    »Na?«, bohrte Biddy.
    »Ja«, sagte Winn. »Nein.«
    »Du freust dich nicht?« Sie und Daphne hatten die gleiche Art die Stirn zu runzeln, wenn ihnen etwas gegen den Strich ging. »Was wolltest du sagen, als du reinkamst?«
    Er tippte sich mit dem Block an den Schenkel. »Das habe ich vergessen.«
    »Heraus damit, Winn.«
    »Gut, wenn du es unbedingt willst. Ich hatte vor zu sagen, dass wir uns das noch mal überlegen sollen. Schließlich war das nicht geplant.«
    »Wir haben immer gesagt, dass wir zwei wollen.«
    »Wir haben seit Jahren nicht mehr darüber geredet. Seit vier Jahren vielleicht.«
    »Doch, wir haben letztes Jahr auf Waskeke darüber geredet. An dem Abend im Enderby’s. Du hast gesagt, du wünschst dir einen Sohn.«
    »Wir hatten getrunken. Und das ist auch schon ein Jahr her.«
    »Ich habe das nicht für leeres Gerede gehalten. Wir haben immer gesagt, dass wir zwei wollten. Ich habe geglaubt, das wäre unser Plan. Das haben wir immer gesagt.«
    »Ich dachte ... oder besser, ich habe geglaubt, wir wären beide von der Idee abgekommen. Aber offenbar habe ich mich getäuscht.«
    »Du hättest was sagen sollen, wenn du es dir anders überlegt hast.«
    »Du hättest sagen sollen, dass du noch eins willst.«
    »Lass dich ganz offen fragen: Wenn du wüsstest, dass es ein Junge wird, würden wir dann dieses Gespräch führen? Hättest du dann eine deiner Listen geschrieben?« Sie streckte die Hand nach dem Block aus.
    Er versteckte ihn hinter dem Rücken und preschte vor. »Ich wusste nicht, dass du die Pille nicht mehr nimmst. War das Absicht?«
    Sie wandte sich ab und wühlte in einer Schublade. »Ich habe sie eine Woche lang vergessen. Ich weiß, dass du keine Überraschungen liebst, aber ich dachte, wir wollten es. Ich dachte, wenn es passiert, dann passiert es eben. Mir war nicht klar, dass du es dir anders überlegt hast. Du hättest was sagen müssen.«
    »Ich hatte ja keine Ahnung. Mir war nicht klar, dass ich mich stillschweigend damit einverstanden erklärt hatte, jederzeit wenn du es wünschst, ein Kind zu zeugen.«
    Er trat rechtzeitig aus dem Weg, bevor die Tür zuknallte. In die Badewanne wurde Wasser eingelassen. Biddys Schwestern behaupteten, dass Biddy sich in Zeiten der Not zu Wasser hingezogen fühle, liege an ihrem Sternzeichen. Sie war Wassermann. Winn hielt nichts von Astrologie – er fand das Ganze haarsträubend –, aber er sah ein, dassdie Vorliebe seiner Frau für Wannenbäder, Duschen, Seen, Flüsse, Schwimmbäder und das Meer von etwas Mächtigem herrührte. Biddy stammte aus einer Linie, die sich zugleich durch bemerkenswertes Pech und bemerkenswertes Glück mit dem

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