Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
können.«
Ein Anflug von Sorge verfinsterte Winns Gesicht, doch er senkte das Kinn und blickte böse über seine Brille. Er richtete den Zeigefinger auf Sterling. »Wir stehen vor dem Restaurant, in dem du gleich eine Tischrede auf deinen Bruder halten sollst, der meine Tochter heiraten wird. Du bist ein erwachsener Mann. Du solltest verantwortlich handeln. Mit der Zeit wirst du, denke ich, den Wert darin entdecken, ein Gentleman zu sein – es erhebt dich über jeden Tadel.«
Bestimmt, aber alles andere als unsanft schob Sterling Winns drohenden Finger mit einer Handkante von sich. »Da lasse ich mich lieber flachlegen«, sagte er. »Nach deiner Vorstellung obliegt dem Mann die gesamte Bürde der Regelung von Moral und Glück in der Welt der Sexualität. Aber in meinen Augen ist das herablassend. Sollte ich die Impulse der Frauen ignorieren, weil ich die patriarchalische Pflicht habe, unter ihnen Ordnung zu halten? Sollte es Frauen nicht gestattet sein, sich auszusuchen, mit wem sie schlafen wollen und wann, unabhängig von den Konsequenzen, die sich daraus ergeben? Meinst du wirklich, wir Männer sollten für sie Polizei spielen? Oder willst du bloß besondere Regeln für deine Tochter aufstellen?«
»Ich will keine philosophische Auseinandersetzung mit dir führen.«
»Was willst du dann?«
»Ich will, dass du dich bei meiner Tochter entschuldigst.«
»Ich habe mich entschuldigt. Und habe es dir bereits gesagt.«
»Eines Tages wirst du verheiratet sein und vielleicht selber Töchter haben. Dann wirst du verstehen, was es heißt, Frauen zu achten. Und du wirst auch sehen, dass das, was du jetzt machst, was du gestern getan hast ... schäbig ist.«
»Schäbig?« Sterling hatte nicht vorgehabt, seine nächste Karte zu spielen, aber er hatte auch nicht geahnt, dass Greysons frischgebackener Schwiegervater ihn abzukanzeln gedachte wie einen Schuljungen. Er neigte den Kopf nach hinten und sah zu, wie eine Rauchwolke sich im Himmel auflöste. »Wie war dein Abend gestern?«, fragte er. »Ist die Wäsche fertig geworden?«
Winn kippte nach hinten weg wie eine Boje auf der Welle, die Augen vor Schreck geweitet. Schon im nächsten Moment stellte er seine Miene steinerner Entschlossenheit wieder her. Es mochte ihn kosten, was es wollte, er wollte sich nicht von seinem ursprünglichen Plan für dieses Gespräch abbringen lassen. Sterling war beinahe beeindruckt.
»Du bist es nicht wert, Livia die Schuhe zu putzen«, sagte Winn.
»Vermutlich hast du Recht«, erwiderter Sterling, »aber sie war sehr gern mit von der Partie.«
»Du weißt weder, wie man sich als Mann noch als Gentleman verhält.« Winn begann fast unmerklich zu lallen, und seine Pupillen wurden groß und dunkel. Sterling fragte sich, ob er wohl auf Drogen sein könnte. Wäre das nicht ein Ding? Winn zielte sorgfältig und stach ihm auf die Brust.
Sterling schlug den Finger weg. Er war oft genug an Kneipenschlägereien beteiligt gewesen, um zu wissen, wannWorte in Tätlichkeiten überzugehen drohten. Noch war der Punkt nicht ganz erreicht. Bisher hatten sie sich leise unterhalten und die Party nicht gestört. Nur Livia starrte sie immer noch wie gebannt an. »Es tut mir leid, nach dem, was ich gestern Abend durchs Fenster gesehen habe, glaube ich kaum, dass ich mich in deinen Fernkurs zur Erziehung vom Mann zum Gentleman einschreiben werde.«
Winn kniff die Augen zusammen, steckte die Hände in die Taschen seiner grünen Hose und versuchte eine Art Cowboynummer. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
Sterling war amüsiert, er sprach leise. »Du glaubst, ich bluffe? Ich hätte nur in den Äther gelangt und rein willkürlich zu der Idee gegriffen, dass du gestern Abend in der Waschküche auf Abwegen gewandelt bist?«
»Also bist du auch noch ein Spanner.«
»Ich habe einen Spaziergang gemacht, um mich ein bisschen auszunüchtern. Keine Sorge, ich werde nichts ausplaudern. Agatha ist komisch, nicht wahr? Sie ist so offensiv, aber wenn es dann losgeht, läuft nicht mehr viel. Weißt du, was ich meine? Sie ist wild und frigide zugleich.«
Winn gelang es nicht zu verbergen, dass er genau wusste, was Sterling meinte. »Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte er.
»Ich würde es nicht persönlich nehmen. So sind viele dieser schlampenhaften Frauen. Jedenfalls meiner Erfahrung nach.«
»Du Widerling«, bellte Winn. Sein Zeigefinger bohrte sich erneut schmerzhaft in Sterlings Brustbein. »Du meinst, du kannst dich einfach so durchs Leben schleimen,
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