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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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Anthropologe ist auf der Suche nach dem Dorf der Wahrheitssager. Er kommt an eine Weggabelung, an der ein Einheimischer steht. Welche Frage stellt er ihm?«
    Biddy senkte einen Augenblick den Kopf und blickte dann zufrieden wieder auf. »Wie komme ich in dein Dorf?«
    »Richtig. Die Zauberfrage.«
    »Gibt es ein Dorf der Leute, die sich an höfliche Nichtigkeiten halten?«
    »Kann sein. Welche Frage würdest du stellen, um dahin zu kommen?«
    »Verzeihung, mein Herr, wären Sie so freundlich, mir zu sagen, wo Biddy Van Meter wohnt?«
    Sie schwiegen einen Moment gemeinsam. Ein Kellner lief über die Terrasse und sammelte vergessene Gläser und verstreute Servietten ein.
    »Ich mache nur Spaß«, sagte Biddy.
    »Ich weiß.«
    Biddy verschränkte die schlanken Finger und hob die Hände unters Kinn. Die Augen hob sie zu Dominique. Ihre Miene war ernst, fast wie im Gebet. »Du wirkst so stark. Ich wünschte, Livia wäre mehr wie du.«
    Dominique wusste nicht, ob sie stark war oder nicht. Was sie wusste, war, dass ihre besten Entscheidungen diejenigen gewesen waren, die sie freier gemacht hatten, doch mit Biddy über Freiheit zu sprechen, war, als wollte man einer Giraffe aus dem Zoo in der Bronx erklären, wie es sich in Afrika lebte. Sie kam sich vor wie eine Heuchlerin, ein falscher Wunderheiler, dessen einzige Hoffnung darin bestand, einfach immer weiter zu reden und zu hoffen, dass ihn keiner entlarvte, bevor er den Ort verlassen hatte. »Ich glaube schon, dass Livia stark ist«, sagte sie. »Sie steht sich bloß im Augenblick überall selbst im Weg. Das wird bestimmt bald besser. Alles wird gut. Wir sollten reingehen.«
    »Du hast recht«, sagte Biddy, ohne sich von der Stelle zu rühren.
    »Brautmutter?«, sagte Dominique. »Frau Brautmutter? Ohne Brautmutter können wir mit dem Probeessen nicht beginnen.« Sie bot Biddy ihren Arm, und Biddy überließ sich ihrer Führung, zurück in den Schoß des Festes.
    Livia fand ihren Platz zwischen Dicky senior und Dicky junior. Ihr gegenüber saß Mopsy. Für die Gesellschaft war in einem separaten Raum gedeckt, an zwei langen Tischen mitweißen Tischdecken, auf denen Vasen mit blauen Irissträußen standen. Der Raum war eine Art Wintergarten mit hohen Sprossenfenstern, die wegen des Windes geschlossen waren, aber den Effekt hatten, dass man mitten im bootsgefüllten Hafen saß, in dem jetzt mächtige Schaumkronen tanzten. Eine Kellnerin mit blauer Fliege und weißer Schürze ging durch die Reihen und zündete auf den Tischen hohe weiße Kerzen in silbernen Kandelabern an.
    Ihr Platz in der Mitte des Dicky-Sandwich war Livia ganz recht. Hätte man sie zwischen Francis und Sterling oder ihren Vater und Sterling oder sonstwen und Sterling gesetzt, hätte sie in ihren gemischten Salat geweint. Aber die Dickys bildeten ein wunderbares Bollwerk gegen etwaige Folgen der Zwistigkeiten zwischen ihrem Vater und Sterling draußen auf der Terrasse. Sie hatte nichts gehört, aber ihr Vater hatte Sterling wiederholt seinen Zeigefinger in die Brust gebohrt, und das war kein gutes Zeichen. Als sie hineingingen, hatte sie ihn an der Tür abgefangen und leise gefragt: »Was war los? Worüber habt ihr geredet?«, doch er hatte sie nur durch den Saal geschoben und gezischt, er sei nicht derjenige, der jemandem den Finger gebrochen habe. Jetzt hatte er den Vorfall offenbar schon irgendwo tief in seinen inneren Gewölben vergraben. Er nahm Platz und schüttelte seine Serviette aus. Er schob die Brille an die Nasenspitze, hob sein Weinglas und hielt die dunkelrote Flüssigkeit ans Kerzenlicht.
    »Dicky«, sagte Mopsy. »Ich sitze unter der Lüftung.« Sie rieb sich die Arme und schaute anklagend an die Decke, die aus weiß gestrichenem Holz und dunklen Balken bestand und nirgends Lüftungslöcher hatte. »Könntest du darum bitten, dass man die Klimaanlage runterstellt.«
    »Ja natürlich«, sagte Dicky junior und stand auf.
    »Ich glaube, die Klimaanlage läuft gar nicht«, sagte Livia. Eine Kellnerin faltete Dickys Serviette, die ihm auf den Boden gefallen war, und stellte sie auf den Tisch.
    Dicky seniors Blick schweifte über die Decke, als hätte man ihn gebeten, eine Wettervorhersage abzugeben. »Mopsy«, sagte er laut und beugte sich über den Tisch. »Ist dir kalt?«
    »Ein bisschen«, sagte sie.
    Dicky senior nickte und belud sich die Gabel mit einem Nest Frisée, als reichte es ihm zu wissen, dass seine Schwiegermutter noch genauso fror wie in den letzten vierzig Jahren ihrer

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