Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
aber das geht nicht. Man muss Verantwortung übernehmen. Jugend ist die beste Entschuldigung, die du je haben wirst, aber dubist kein Kind mehr. Du wirst Verantwortung für dich übernehmen müssen.«
Sterling dachte nach. Er trank den letzten Schluck seines Cocktails. »Jedem das Seine«, sagte er.
»Nein«, sagte Winn. »Jeder muss mal erwachsen werden. Du kannst keine Sonderrechte genießen. Wenn alle machten, was sie wollten, wo kämen wir dann hin?«
»Mein Freund«, sagte Sterling. »Darauf habe ich keine Antwort.«
»Es ist soweit!«, rief Sam Snead. »Zu Tisch!«
15 · Hoch die Gläser
D ie ganze Gesellschaft strebte ins Restaurant, nur Biddy bewegte sich in die umgekehrte Richtung, auf das Geländer am Wasser zu. Dominique blieb an der Tür stehen und folgte ihr dann. Als sie neben ihr war, berührte sie Biddy leicht am Rücken. »Kann ich irgendwas für dich tun?«
»Nein, nein«, sagte Biddy. »Ich brauche bloß einen kleinen Moment für mich.« Sie legte die Hände auf die Hüften und beugte sich mit abgewinkelten Ellbogen vor wie eine Läuferin nach einem Sprint. Außer ihrem Ehering und einer Armbanduhr mit Lederband trug sie keinen Schmuck, und ihr beiges Leinenkleid, das die schlanken gebräunten Arme freigab, war schlicht und gerade geschnitten.
»Ist alles okay?«
»Ja natürlich.«
Sam Snead winkte von drinnen, dass sie hereinkommen sollten. Dominique hielt einen Zeigefinger hoch und schüttelte den Kopf. Sie sah Biddys schnörkellose Erscheinung an, ihr unergründliches Profil, und hatte nicht die geringste Ahnung, was sie machen sollte. Sie wollte ein wenig von dem Trost zurückspenden, den sie einst als armer verlorener Teenager von ihr bekommen hatte, aber wenn sie kundtat, dass Livia Agathas Finger bestimmt nicht mit Absicht gebrochen hatte oder dass Winn sich bestimmt nicht absichtlichmit Greysons Bruder gestritten hatte, verletzte das garantiert die unsichtbaren Grenzen von Biddys Privatsphäre und Anstandsgefühl. Das war nun wirklich eine Lektion in dem Kurs Gutes Benehmen in Amerikas weißer Oberschicht für Fortgeschrittene: Wie tröstete man eine gepeinigte Ehefrau und Mutter, ohne jede Erwähnung der Missetaten oder Unannehmlichkeiten, die sich ihre geliebten Familienmitglieder hatten zuschulden kommen lassen? Zu fortgeschritten für Dominique. Sie sehnte sich nach der Abreise von Waskeke. So viel Zeit mit den Van Meters zu verbringen hatte etwas von der Rückkehr in ein Haus aus der Kindheit, an das man liebende Erinnerungen hegte, nur um dann festzustellen, dass entweder das eigene Gedächtnis hinkt, oder das Haus sich vollkommen verändert hat, weil es überhaupt nicht mehr magisch oder besonders, sondern ganz normal und im Grunde ziemlich furchtbar erscheint – und das war doppelt unangenehm, weil ein vergangenes Glück auf einmal etwas Billiges hatte, wie ein Produkt der Naivität.
»Ich habe noch mal nach dem Wetter geschaut«, sagte Dominique. »Bis morgen früh sollen die letzten Reste von Unwetter durchgezogen sein.«
Biddy lächelte schwach. »Gut. Vielen Dank.«
»Huhu!«, rief Sam Snead. »Hallo, Brautmutter!«
Dominique fragte: »Sollen wir reingehen und gucken, wie sich unsere Tischordnung bewährt?«
»Ich brauche nur noch eine Minute.«
Dominique winkte Sam zu. »Gehen Sie vor«, rief sie. »Wir kommen gleich.«
»Wir haben doch Sterling nicht in Winns Nähe gesetzt, oder?«, fragte Biddy. »Ich bin völlig durcheinander.«
»Ich glaube nicht. Soll ich nachschauen?«
»Wer sitzt neben Winn?«
»Ich glaube, da sitzt du. Und auf der anderen Seite vielleicht Maude? Möchtest du dich umsetzen?«
»Wieso denn das?« Biddy wirkte selbst überrascht von der Schärfe ihres Tons und griff sich an die Schläfe. »Verzeihung. Verzeih mir, Dom. Ich habe es nicht so gemeint. Hast du den Eindruck, dass alle sich gut unterhalten?«
»Hmmm«, machte Dominique und zögerte, als müsste sie über die Frage erst nachdenken. »Nein.«
Biddy verschluckte ein Lachen, das rasch in Weinen überzugehen drohte, doch sie musste nur einmal tief Luft holen, und schon trug sie wieder ihre übliche ruhige, freundliche Miene zur Schau. »Ich finde es schön, dass du da bist. Es ist gut, jemanden um sich zu haben, der so ehrlich ist.«
»Ja, ich stamme eindeutig aus dem Dorf der Wahrheitssager. Das mögen nicht alle.«
»Was ist das Dorf der Wahrheitssager?«
»Kennst du das alte Rätsel nicht? Im Dschungel gibt es ein Dorf der Wahrheitsager und ein Dorf der Lügner, und ein
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