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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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es zwischen ihnen aus war, und sie stellte sich auch diese Mädchen mit ihm vor, als einzelne Fragmente und Körperteile. Das Ganze war zu grausig gewesen. Teddy war immer noch die einzige Kerbe in ihrem kläglichen Bettpfosten. Sie grub die Finger in den Salat und riss Zacken, die ihrem Vater bestimmt nicht gefallen würden, dann drückte sie den Deckel auf die Schleuder und zog an der Schnur, mit einer Kraft, als wollte sie einen Außenbordmotor anwerfen.
    »Teddy hat mich geschwängert« – das war das, was sie zu sagen pflegte, obwohl eigentlich die Schuld größtenteils bei ihr lag. Von der Pille wurde ihr übel oder sie bekam unerträgliche Stimmungsschwankungen; von Diaphragmen bekam sie ständig Entzündungen; vor einer Spirale hatte sie Angst, von der Spritze hatte ihre Zimmergenossin fünfzehn Pfund zugenommen. Damit blieben Kondome. Sie verfiel in die Gewohnheit, ein paar Tage um die Periode Risiko zu spielen und die Phase des Liebesspiels zu überspringen, in der Teddy mit dem Daumennagel an der Folie zupfte, die Packung aufriss, sich die kleine Qualle vors Gesicht hielt, um zu sehen, in welche Richtung sie abzurollen war und das Ding schließlich wie einen Ganzkörperanzug gegen einen ABC-Angriff über den Penis stülpte, dem die kondombezogenen Denkanstrengungen seines Besitzers ein wenig von seiner Festigkeit geraubt hatten. Das Vabanquespiel war acht Monate oder so gut gegangen und wäre, mit Disziplin, vielleicht auch weiter geglückt, hätten sie und Teddy nichteine Krise durchgemacht, die wie all ihre Krisen durch seine Zuwendung zu einer anderen verursacht worden war. Vor lauter Erleichterung über ihre Versöhnung hatte sich Livia zu der Einbildung hinreißen lassen, ihnen leuchteten die grünen Auen der sicheren Zone.
    Eines Abends, ungefähr eine Woche nach der Trennung, hatte sie beschlossen, sich allein in ihrem Zimmer heillos zu betrinken und sich dazu mit Perlen und einem Abendkleid herauszuputzen. Es war Schnee vorhergesagt, doch sie wählte ein Sommerkleid mit großen altmodischen Rosen. Aus dem Kleiderschrank ihrer Zimmergenossin fischte sie High Heels mit sehr schlanken Absätzen, die ihr Angst gemacht hätten, wäre sie nüchtern gewesen, vor allem angesichts der vereisten gepflasterten Wege. Es wollte ihr nicht gelingen, den Reißverschluss am Rücken bis oben zuzuziehen, und während sie sich reckte und spannte, den einen Ellbogen zur Decke streckte und den anderen nach hinten verdrehte, wurde sie einen Augenblick lang vom heulenden Elend erfasst, und sie setzte sich auf ihren Futon und vergoss ein paar Tränen. Doch im nächsten Moment setzte sich der Gin wieder durch, und sie torkelte ohne Mantel zur Tür hinaus und um die beschneiten Flächen herum zum Ophidian hinüber, die oberen Zentimeter ihrer Wirbelsäule vom V ihres offenen Reißverschlusses umrahmt. An ihr flitzten Mädchen in ihren Abendgarderoben vorbei, wie sie für die Kälte zu dünn bekleidet. Und auch deren Absätze blieben in Eisriefen und den Ritzen zwischen den Pflastersteinen stecken. Jede Mädchengruppe bildete ein zusammenhängendes, flirrendes Feld, wie ein Vogel- oder ein Fischschwarm, der sich nach einer komplizierten geheimen Choreographie bewegt, und ihre Pailletten und Seiden blitzten im Licht der Laternen.Der Junge an der Tür zum Club zögerte, als er sie sah, doch sie schob sich an ihm vorbei.
    Sie meinte ihn sagen zu hören, dass Teddy nicht da sei, und sagte in den Raum hinein: »Scheiß auf Teddy.« Dann streifte sie, hier und da über Teppichkanten und unebene Fußbodendielen stolpernd, durch die Zimmer. Dröhnender Hiphop erfüllte das Clubhaus, wenig passend zu den schweren Messinglampen und dem behäbigen altmodischen Mobiliar in wulstigem Leder, dunklen Farben, gedrechseltem Holz. Das Interieur war in historischem englischen Stil gehalten, als hätte sich der Ophidian einst ferner Kolonialbesitztümer erfreut. An den Wänden drängten sich gerahmte Fotografien von Mitgliedern, Briefe, die von ihnen oder an sie gerichtet waren, Kritzeleien auf Cocktailservietten und andere kryptische Nichtigkeiten. »Ihr seid alle schon tot«, murmelte Livia vor dem Bild des Examensjahrgangs von 1918, »da hat auch der Ophidian nicht geholfen.« Für sie war der Club eine Institution, die im Grunde zu kaum etwas anderem da war, als ihre Mitglieder auszuwählen. Was passierte, wenn man aufgenommen war? Man saß herum und trank und tratschte, bis es Zeit war, neue Mitglieder auszuwählen, mit denen man herumsaß

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