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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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und trank und tratschte, bis es Zeit wurde, die nächste Runde auszuwählen. Der Club besaß keinen Sinn, keinen richtigen Zweck. Der Ophidian war eine Attrappe, eine Fassade, eine Fabrik, die nichts erzeugte. Ihr Vater liebte diese Schlange, die sich selbst in den Schwanz biss. Es gehe um Selbsterhaltung, Erneuerung und Wiedergeburt, meinte er, darum, sich zu häuten, aber im Kern immer gleich zu bleiben, ohne Anfang und Ende. Ihrer Meinung nach ging es darum, kein Ziel zu haben und sich selbst zu verschlingen, weil einem nichts anderes übrigblieb.
    Livia spürte, dass Leute sie beobachteten, und sie griente zurück, in undeutliche Gesichter, die sie kannte oder zu kennen meinte. Irgendwann saß sie auf der Lehne eines Ledersofas und lachte über etwas, das ein Junge neben ihr sagte. Sie musste so lachen, dass ihr die Luft wegblieb. Als sie einen Schluck aus dem Plastikbecher in ihrer Hand nehmen wollte, merkte sie, dass er nur Wasser enthielt.
    »Das ist Wasser«, rief sie aus. »Ich wollte kein Wasser. Wenn ich Wasser gewollt hätte, hätte ich das gesagt.«
    Der Junge auf dem Sofa wirkte peinlich berührt. Sie wunderte sich, wieso sie ihn je lustig gefunden hatte. »Stephen dachte, du hättest vielleicht genug gehabt.«
    »Ach, hat Stephen das gedacht?« Inzwischen stand sie. Um sie wurde es still im Raum, und sie drehte sich nach links und rechts, um alles in Augenschein zu nehmen. »Was?«, sagte sie. »Du denkst, ich bin betrunken. Stephen denkt, ich bin betrunken? Na, du kannst Stephen sagen, dass ich für zwei trinke! Verstehst du? Aber warte bloß nicht drauf, bis du es von Teddy hörst, und schick keine Zigarren!« Aus ihrem Becher schwappte Wasser auf ihre Zehen. »Scheiße.« Als sie sich bückte, um es abzuwischen, verlor sie den letzten Rest ihres Gleichgewichts und kippte vornüber auf den Orientteppich. Kaum war sie unten (oder schon vorher – war sie überhaupt gefallen?), spürte sie ein Paar Hände an ihren Seiten, die sie wieder aufrichteten. Eine davon zog den Reißverschluss an ihrem Kleid hoch. »Teddy?«, winselte sie.
    Es waren nicht Teddys Hände, aber sie sah ihn an der Tür, noch im Mantel, hochrot unter dem roten Haarschopf, mit einem Ausdruck in den Augen, dem sie entnahm, dass weder er noch sie diese Situation je verwinden würden. Seine Verachtung strahlte durch den still gewordenen Raum, währendsie nur Zerknirschung und animalische Verzweiflung zu senden vermochte.
    Ihr Retter war der verhasste Wodkaverweigerer Stephen. »Okay«, sagte er. »Die Party ist vorbei.«
    Er führte sie in ein Hinterzimmer, und sie telefonierten die Nummern auf ihrem Handy durch, bis sie eine Freundin fanden, die nüchtern genug und bereit war, sie abzuholen und nach Hause zu bringen. »Komm mit einem Mantel, den sie überziehen kann«, sagte Stephen ins Telefon. »Und bring Stiefel mit.«
    Während sie nebeneinander warteten, Livia den Blick zu Boden gesenkt und Stephen an die Decke starrend, sagte er: »Ich würde dich ja selbst bringen, aber das würde nicht gut aussehen. Teddy ist mein Freund. Ich habe ihn angerufen, damit er dich abholen kommt.«
    Auf dem ganzen Heimweg durch den rieselnden Schnee im violettorangen Licht der Straßenlaternen, durch die klirrend kalte Welt, während sie von jedem ungeschickten Schritt, den sie in den zu großen geliehenen Stiefeln machte, durchgeschüttelt wurde, redete sich Livia ein, dass Stephen ihr am nächsten Tag eine E-Mail schreiben würde, um sich nach ihr zu erkundigen, und dass etwas zwischen ihnen wachsen würde, wie ein Krokus aus dem Schnee.
    Sie bekam am nächsten Tag E-Mails, aber keine von ihm.
    Livia ließ ihren Korb mit gewaschenem Salat auf der Terrasse stehen und ging in die Küche. »Dad?«, rief sie. »Was soll ich mit dem Salat weiter machen?«
    Ihr Vater trat aus seinem Arbeitszimmer, in den Händen ein dickes, in blaues Leinen gebundenes Buch. Auf dem Rücken stand in silbernen Großbuchstaben VÖGEL. »Ich habe unserkleines Rätsel gelöst«, sagte er. »Hör zu.« Er blätterte eine Seite auf, die er durch einen eingesteckten Finger markiert hatte, und las: »Reiher ist der Oberbegriff für eine große Familie von Schreitvögeln, zu denen auch Silberreiher und Dommeln zählen. Silber- und Seidenreiher haben ein weißes Gefieder, andere sind grau oder bräunlich gefärbt.« Er schlug das Buch zu. »Damit ist das klar. Wir hatten beide recht.«
    »Das Buch ist veraltet, und die Definition ist ziemlich schwammig«, sagte sie.
    »Auf jeden

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