Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
Vom Netzwerk:
Sterling dicht hinter ihr.
    »Ich glaube schon.« Sie ergriff den Hummer am Brustpanzer, hielt ihn hoch und musterte ihn. Seine Scheren und Fühler baumelten herunter, und keines seiner Beine zuckte auch nur. »Ja«, sagte sie. »Scheint so.«
    »Irgendwie lieb, dass deine Mutter ihm ein Bett gebaut hat.«
    Livia legte den Hummer auf den Betonboden und fischte den Seetang aus dem Gemüsefach. »Ja. Aber ich weiß nicht, was wir ihrer Meinung nach mit ihm machen sollen.«
    »Begraben?«
    »So, wie’s aussieht, hätte sie ihn genauso gut bis morgen früh im Kühlschrank lassen können. Sie will bestimmt nicht, dass wir den Kerl einfach in den Müll werfen.«
    »Woher weißt du, dass es ein Er ist?«
    »Hier.« Sie hielt ihm den Seetang hin.
    Er nahm ihr das Bündel ab. »Hey, danke.«
    Sie wischte sich die Hände ab, dann hob sie den Hummer hoch, drehte ihn um und deutete auf die Schwimmbeine an der Unterseite des Schwanzes. »Ich wusste es nicht. Aber es ist tatsächlich ein Er. Das erste Beinpaar wäre weich und fedrig, wenn es ein Weibchen wäre. Weibliche Hummer nennt man übrigens Hennen.«
    »Und die Männchen?«
    Sie legte den Hummer wieder auf den Boden. »Hähne«, sagte sie. Sie fragte sich, ob er es bereits gewusst hatte und sie nur aufzog. Sie fing an, die Bierflaschen wieder ins Gemüsefach zu räumen. »Das ist echt seltsam«, sagte sie. »Normalerweise ist Mom nicht so weichherzig. Eher pragmatisch.«
    »Bei Hochzeiten werden die Leute schon mal seltsam.«
    Als das Bier verstaut war, sah sie sich suchend um. »Hast du den Hummer?«
    »Nein, ich habe den Tang.« Er schüttelte das Büschel dunkler Streifen wie bizarre Pompoms.
    »Hatte ich ihn nicht eben da hingelegt?«
    »Vielleicht ist er weggelaufen.«
    »Er war doch tot, oder?«
    »Wie wär’s mit etwas mehr Licht?«
    Livia öffnete das Gefrierfach, so dass das helle Dreieck auf dem Boden ein wenig größer wurde. Ein langer, dünner Fühler tastete über den Beton und berührte beinahe ihre Füße. »Da ist er ja«, sagte sie. Froh, dass die Scheren noch zusammengebunden waren, griff sie in der Dunkelheit nach seinem kalten Panzer. Als sie ihn diesmal hochhob, hingen seine Scheren nicht mehr schlaff herunter. »Er lebt. Wow.«
    »Er ist der Hummerjesus«, sagte Sterling.
    »Und was machen wir jetzt? Irgendwie wäre es doch eine Schande, ihn zu töten, aber ich möchte ihn auch nicht einfach seinem Schicksal überlassen.«
    Sterling warf den Tang in die Luft wie Konfetti. Ein paar Stücke landeten auf Livia, kalt und glitschig. »Ist doch klar«, sagte er. »Wir müssen ihn freilassen.«
    Sie gingen die Einfahrt hinunter und folgten dem Fahrradweg neben der Straße, der zum nächstgelegenen Salzwasser führte, einer sumpfigen Bucht abseits des langgezogenen Hafens. Livia hatte eine Taschenlampe aus dem Haus geholt und einen Stoffbeutel mit den Initialen ihrer Mutter für den Hummer.
    »Ich weiß nicht, ob er im Sumpf überleben kann«, sagte siezu Sterling, der die Tasche mit dem Hummer trug. »Krebse schon. Eigentlich weiß ich überhaupt nicht besonders viel über Hummer. Ich weiß, dass sie Felsen mögen und dass sie sich ziemlich viel bewegen, in unterschiedlichen Tiefen, aber ob sie auch in Sumpfgebieten leben, weiß ich nicht. Allerdings müssten wir bis zum Yachthafen fahren, um ihm was Besseres bieten zu können, und dazu sind wir beide nicht fit genug.«
    »Ich könnte noch fahren«, sagte Sterling. »Du hättest nur was sagen müssen.«
    »Wirklich?«, sagte sie skeptisch, wollte aber nicht zickig klingen. »Nächstes Mal.«
    »Was ist los, Jacques? Vertraust du mir nicht?«
    »Jacques?«
    »Cousteau.«
    »Oh.«
    »Die Majestät von la mer «, sagte er mit französischem Akzent. »Das Genie von Ümmer, der sich stellt tot, um nischt gefresst zu werd. Er wartet in sein Kühlschrankgrab und offt, dass jemand ihn errettet.«
    »Hummer haben ziemlich primitive Gehirne«, sagte sie. Sie gingen weiter, begleitet vom Strahl der Taschenlampe, der über den Asphaltweg und den Sand und das stachlige Gras am Rand tanzte. Sie wusste, sie hätte weiter mitspielen und jede Gelegenheit zum Flirt nutzen sollen, wie Agatha es getan hätte, aber sie wurde wieder nüchterner und begann sich Sorgen zu machen, dass Sterling ihr vom Haken hüpfte. Immer vermisste sie Teddy genau im falschen Augenblick. Wenn sie mit Teddy zusammen wäre, wüsste sie genau, welche Scherze sie machen und was sie sagen und tun sollte. »Isch wünschte«, sagte sie in einer lahmen,

Weitere Kostenlose Bücher