Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
halbherzigen Imitationeines gallischen Akzents, »isch würde genau wissen, dass er in die Sumpf überlebt. Aber isch weiß es einfack nischt.«
Sterling schwieg. Am liebsten hätte sie die Taschenlampe direkt auf sein Gesicht gehalten, um zu sehen, was er dachte. »Na ja«, sagte er schließlich. »Im Sumpf zu verhungern ist immer noch besser als im Kochtopf zu enden.«
Der schmale Spalt Dunkelheit zwischen ihren Schultern schien sich zu verbreitern, während sie gingen. Er erweiterte sich zu einer Kluft, und als sie die Salzwiesen erreichten, hätte er ebenso gut meilenweit weg sein können, oder sogar draußen auf dem Meer, in einem Boot, in das man sie nicht eingeladen hatte. Und als würde die Taschenlampe von der Energie zwischen ihnen betrieben, fing das Licht an zu flackern und zu verblassen. »Komm schon«, sagte Livia und schüttelte sie. Der Strahl stabilisierte sich, und sie bog auf einen schmalen Pfad ab, der durch eine Gruppe von Ahornbäumen führte, dann übernahmen Schilf und Schlickgras, und der Boden wurde morastig und zog an ihren Sandalen. Sie blieb stehen, als das Wasser vor ihr lag: reglos und bedrohlich, durchbrochen von Schilf und überlagert von Nebel. Es war nicht mehr als eine dünne schwarze Schicht auf dem Schlick, aber seine Oberfläche schien sich endlos auszudehnen und mit der des Hafens und dann mit der Haut des offenen Meeres zu verschmelzen, die alle Kontinente berührte. »Das hier hat keinen Zweck«, sagte sie zu Sterling. »Es ist zu flach und zu trübe. Er wird einfach eingehen.« Sie wandte sich um und richtete den verlöschenden Lichtstrahl auf einen anderen Pfad. »Aber ich glaube, wenn wir hier entlanggehen, kommen wir zu einem kleinen Strand am Ende des Sumpfes. Es ist nicht sehr weit.«
Sie rechnete damit, dass er Nein sagen, sich sogar über sie lustig machen würde, weil sie sich so viel Mühe machte, einen Hummer zu retten, der kein bisschen anders war als der, der sich gerade durch ihren Verdauungstrakt bewegte, doch er sagte nur: »Okay«, und sie gingen weiter, immer dem flackernden, tanzenden Licht nach. Als sie schließlich einen Streifen sauberen Sand erreichten, lag die Taschenlampe in ihren letzten Zügen, aber Livia wusste, dass sie an der richtigen Stelle waren, denn sie konnte das Klatschen des Wassers im Hafen hören und, weiter draußen, das Rollen der Wellen auf dem offenen Meer.
»So«, sagte Sterling, »und jetzt setzen wir ihn einfach in den Sand, und er galoppiert rein?«
»Ich glaube, die besten Chancen hat er, wenn wir ihn so weit wie möglich hineinwerfen.«
»Sofern er nicht bereits sein Leben ausgehaucht hat.« Sterling hielt den Beutel auf, aber als Livia die Taschenlampe auf den ziemlich tot aussehenden Hummer richtete, gaben die Batterien endgültig den Geist auf, und sie versanken im Dunkeln. »Ich glaube, wir wussten beide, dass das passieren würde«, sagte Sterling.
»Ja.«
»Nun, dann bringen wir’s am besten hinter uns.«
Zum zweiten Mal tastete Livia blindlings nach dem Panzer des Hummers, der immer noch kalt war, aber mittlerweile auch trocken. Sie nahm ihn aus dem Beutel und hoffte inständig darauf, dass er irgendein Lebenszeichen von sich gab. »Wir müssen ihm die Gummibänder von den Scheren nehmen«, sagte sie zu Sterling.
»Klar.«
»Kannst du das machen?«
Seine Finger tasteten nach ihren Armen und wanderten daran hinunter bis zu dem Hummer. Sie spürte, wie er zog. »Wenn ich noch nie einen Hummer gesehen hätte«, sagte er, »hätte ich keine Ahnung, was ich da gerade berühre.«
»Pass auf, dass du ihm nicht die Arme ausreißt.«
»Ich geb mir Mühe.« Er grunzte. »Okay. Fertig. Ich glaube, er ist tot, aber er hat uns ja schon mal getäuscht.«
»Stimmt.« Sie schlüpfte aus ihren Sandalen und ging dem Geräusch des Wassers entgegen, bis die Kälte ihre Füße umspülte, dann ihre Knöchel und Knie. Der Saum ihres Kleids trieb im Wasser. Der Sand unter ihren Füßen war mit Kieseln durchsetzt und ein bisschen glitschig. Sie hielt den Hummer mit beiden Händen, holte von unten her aus und bemühte sich um einen weiten, flachen Wurf. Ein Platschen im Dunkeln. Livia erfasste eine unglaubliche Erleichterung, so als hätte sie eine großartige, lebenswichtige gute Tat vollbracht. Sie und Sterling erlebten ein Abenteuer. Sie hatten immense, nahezu groteske Anstrengungen unternommen, um ein Tier würdevoll zu behandeln, und er hatte sich kein einziges Mal beschwert. Wenn er bis hierhin mitgemacht hatte, musste er
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