Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)
mit der unendlichen Fülle der darin lauernden Gefahren, für das Baby, für die Mädchen und für sie selbst. Normalerweise konnte sie ihre Gedanken bremsen; normalerweise schlief sie immer gleich ein, aber heute Nacht konnte sie den Absprung nicht finden – und konnte auch nicht neben Winn liegenbleiben und seinen Schlafgeräuschen lauschen.
Sie drehte den Hahn über der Wanne auf und ließ sich Wasser einlaufen. Winn würde nicht aufwachen, nicht, wenn er einmal zu schnarchen begonnen hatte. Sie drückte den Gummistöpsel in den Abfluss, zog sich das Nachthemd über den Kopf und ließ ihre Baumwollwäsche auf die Badematte fallen. Sie drehte sich die Haare zu einem Knoten und griffdann mit einer Hand nach der Klammer, die immer auf dem Waschbecken lag. Als sie im halb-beschlagenen Spiegel ihr schattenhaftes Spiegelbild erblickte, lief ihr flüchtig ein Schauer über den Rücken, ausgelöst von den Wellen einer kindlichen Angst, die Jahrzehnte zurückging bis in die Zeit, als Celeste und Tabitha sie im dunklen Badezimmer festgehalten hatten, während sie mit einem unheimlichen Singsang Geister beschworen. Nun ließ sie sich langsam ins Wasser gleiten. Die kalten Zehen schmerzten in der Wärme, und ihre Schultern zuckten vor dem kühlen Porzellan zurück. Sie lehnte den Hinterkopf an und bog den Rücken durch, um sich dann vorsichtiger wieder hinzulegen und, als sie lag, mit der Hand heißes Wasser über Brust und Schultern schöpfen.
Als das Wasser angenehm tief war, drehte sie den Hahn mit den Zehen zu, und es wurde, abgesehen vom tropfenden Wasserhahn und dem fernen Nebelhorn, um sie herum still. Sie seufzte laut, aber nur ein einziges Mal und nur, weil es ihr guttat. Wie Winn vorhin Agatha nach ihrem Sturz zu Hilfe geeilt war, war er so ritterlich, so aufmerksam, so offensichtlich gewesen. Diese Offensichtlichkeit, das war das, was sie nicht tolerieren konnte. Sie hatte gewusst, worauf sie sich einließ, als sie seine Frau wurde, und damit gerechnet, eine Ehe zu führen, in der sie gelegentlich ein Auge zudrückte, aber sie hatte auch erwartet, dass er sich diskret verhielt. Und er hatte sich daran gehalten. Sie ging davon aus, dass es andere Frauen gegeben hatte, aber sie hatte nie irgendwelche Indizien dafür gefunden – und mehr verlangte sie nicht. Eine einfache Forderung, so hatte sie gemeint: eine billige Erkenntlichkeit für ihre Nachsicht, ihren Realismus, ihre Toleranz. Bisweilen war seine Diskretion so allumfassend gewesen, dass sie sich gestattet hatte zu glauben, es habe vielleicht wirklich keineanderen gegeben, aber sie wollte es nicht riskieren, so blöd zu sein, an etwas so Unwahrscheinliches zu glauben wie die Treue ihres Ehemanns. Er musste doch wissen, wie komisch sein Hingezogensein zu Agatha war, wie ordinär. In all den Jahren hatte Agatha seine lüsternen Blicke nicht mit mehr erwidert als mit trägstem reflexhaften Flirten. Aber heute Abend hatte sie ihn am Hemd festgehalten, nachdem er sie wieder auf die Beine gestellt hatte.
Biddy schöpfte Wasser mit den Händen und legte sie sich dann aufs Gesicht. Es war nicht mehr zu ändern – sie würde morgen früh erschöpft sein. Sie atmete tief durch, spürte den Dampf. Der Zauber, den sie schon ihr Leben lang im Wasser erlebte, begann zu wirken. Es wusch den Stress aus wie eine Entzündung aus einer Wunde und schenkte ihr inneres Gleichgewicht. Nach der Hochzeit würde das Leben weitergehen wie immer. Das Baby würde gesund sein. Livia würde einen neuen Freund finden. Winn würde zur Arbeit fahren und abends nach Hause kommen. Was hatte Dominique gefragt? Wo sie leben würde, wenn sie die freie Wahl hätte? Vielleicht könnten sie in ein paar Jahren ganz nach Waskeke ziehen. Vielleicht könnten sie eine ausgedehnte Reise nach Übersee machen, ein Haus in Frankreich mieten, in Dominiques Restaurant essen, eine Flussfahrt unternehmen.
Sie schlenderte durch ein Lavendelfeld, begleitet nur vom Summen der Bienen, als etwas sie würgte. Die Luft wurde dick und bedrohlich, und als sie aufwachte, hustete sie lauwarmes Badewasser aus.
Winn wurde schon vor Morgengrauen wieder wach. Sein Herz schlug zu schnell, es raste in sinnloser Eile vor sich hin, wie er das von anderen Katern her kannte. Alles warwieder da. Agatha, wie sie an der Waschmaschine lehnte. Der Duft ihrer Haare. Das Gefühl ihrer Arme und Schenkel, die erschreckende Leblosigkeit ihres Gesichts, die Sprödigkeit ihrer trockenen Scheide. Als er die Finger an die Nase hob, roch er
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