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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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los.«
    Charlie kam näher. »Ist alles in Ordnung?«
    »Bestens. Wollte bloß ein bisschen Radio hören, Nachrichten und so.« Winn deutete auf das Armaturenbrett. Das Radio war ausgeschaltet.
    »Cool«, sagte Charlie. Hinter ihm drehte Francis sich abrupt um und stürzte in die Dunkelheit.
    »Ich glaube, er muss kotzen«, sagte Dicky junior.
    »Sind Sie sicher, dass alles okay ist?«, fragte Charlie.
    »Ja, alles in bester Ordnung. Gute Nacht, Jungs.« Er kurbelte die Scheibe wieder hoch. Er und Charlie sahen sich durch das aufsteigende Glas an, dann zuckte der jüngere Mann die Achseln, winkte und wandte sich ab.
    Als ihre Rücklichter aus der Einfahrt verschwunden waren, ging Winn ins Haus. Jemand hatte das Licht ausgemacht, aber Celeste lag immer noch auf dem Sofa und gurgelte leisevor sich hin. Er ging ohne einen weiteren Blick an ihr vorbei. Draußen auf der Terrasse brannten immer noch die Laternen, obwohl niemand mehr da war, doch er kümmerte sich nicht darum. Er wollte nur noch in sein Bett, an Biddys Seite, in die erlösende Sicherheit der Finsternis. Er hatte gerade die ersten Stufen erklommen, als er von oben das unmissverständliche Schmatzen von Küssen hörte. Eine Frau stöhnte leise. Gereizt blieb er stehen. Nahm das denn überhaupt kein Ende? Als er sich leise wieder hinunterschleichen wollte, ächzten die Stufen in einer Parodie auf weibliches Stöhnen, das er eben gehört hatte, und er blieb erneut stehen. Doch das Küssen ging unbeirrt weiter. Die unverhohlenen, saugenden Schmatzer und die Dreistigkeit der Treppenhausküsser erschienen ihm schlicht unverschämt, und er beschloss, sich nicht von irgendwelchen lasziven Darbietungen in seinem eigenen Haus einschüchtern zu lassen. Geräuschvoll stapfte er die Treppe hinauf, und als er um die Ecke kam, erblickte er Greyson und Daphne, die sich eng umschlungen hielten. Daphne stand im Nachthemd gegen die Wand gelehnt, die Familienfotos um sie herum krumm und schief, und Greyson beugte sich über ihren Bauch, die Hände um ihr Gesicht gelegt, und küsste sie mit eindeutiger Absicht. Winn räusperte sich und blieb stehen.
    »Oh«, sagte Daphne. »Daddy. Ich bin aufgestanden, weil ich sehen wollte, ob noch jemand da ist.«
    »Schon gut«, sagte Winn. »Gute Nacht.« Mit der gehetzten, geschäftsmäßigen Miene eines Mannes, der sein Büro verlässt und noch kurz mit der zusammengefalteten Zeitung winkt, schob er sich an ihnen vorbei.
    Im Schlafzimmer war es dunkel und still. Biddy lag reglos da. In der Ferne erklang ein Nebelhorn, nicht das tiefe,warnende Tuten, das er aus seiner Kindheit kannte, sondern ein automatisierter Ton, wohlklingend und unaufdringlich. Er legte sich hin und sah zu, wie der Strahl des Leuchtturms über die Wände glitt. Livia war auf Partys im Sobek Club gewesen, aber Tiptons Porträt hatte sie angeblich nirgends gesehen. Vielleicht war es über die Jahre in irgendein Allerheiligstes gewandert. Vielleicht hatte man es auch weggeworfen. Er zählte die fünf Sekunden zwischen dem Aufleuchten, und seine Lippen bewegten sich in der Dunkelheit. Eins, zwei, drei, vier, fünf, dann schoss das Licht durchs Fenster, fuhr über seinen Bademantel an der Badezimmertür, berührte die Kommode, das Ölbild von einem Krebs, den Korb mit Muscheln, den die Mädchen vor langer Zeit gesammelt hatten, die leichte Erhebung der Decke, unter der Biddys Beine lagen. Winn fühlte sich geehrt von der Anwesenheit des Strahls in seinem Schlafzimmer, als Teil der Inselwelt. Der kurze Lichtblitz, der über die schindelgedeckten Häuser und das dunkle Salzgras strich, bevor er aufs Meer hinausglitt und von der anderen Seite wiederkam, war so flink, dass er auch ein Geist hätte sein können oder das Scheinwerferlicht eines vorbeifahrenden Autos, nur dass er alle fünf Sekunden wiederkehrte wie ein Uhrwerk, immer genau seiner Erwartung gemäß.

FREITAG

9 · Das Leiterspiel
    A ls Winns Schnarchen gleichmäßig geworden war, schlüpfte Biddy aus dem Bett. Durch die Fliegengitter sickerte Nebel und lag da wie kühle Gaze, die der Leuchtturmstrahl durchschnitt. Sie blieb einen Moment stehen und sah auf ihren Mann hinunter, der mit offenem Mund dalag, dann ging sie ins Bad und setzte sich auf den Wannenrand. Wie war sie müde! Sie hatte zu lange wach gelegen; ihre Gedanken waren umhergesprungen, zwischen ihren Töchtern, den langen Listen der vielen Dinge, die zu tun waren, und Erinnerungen an frühere Hochzeiten. Einen mächtigen Sog übte auch die Zukunft aus,

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