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Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition)

Titel: Leichte Turbulenzen bei erhöhter Strömungsgeschwindigkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Shipstead
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sich umzuschauen den Rückwärtsgang einlegte. Ein Entkommen war nicht mehr möglich. Winn hörte das Schalten, das Einsetzen des schrillen Warntons, und schon wurde er mit seinem Rad von der Stoßstange erfasst und seitwärts vom Weg gefegt. Später sah er vor seinem inneren Auge eine Serie von schiefen, rechteckigen Bildern, wie von einer beschädigten Antenne gesendet: den Himmel, das Radwegpflaster, den Hinterkopf des Fahrers, das Gras, in dem er landete. In der Sekunde, in der er in der Luft war, schnitt ihm eine kreisende Pedale tief ins Fleisch seiner Wade und hinterließ eine sichelförmige Wunde. Und wie um die Schmach zu vollenden, flog sein Tennisschläger auf die Straße, wo er prompt von einem Lieferwagen überfahren wurde. Zwei Muffins fielen aus der Tüte. Eines landete im Straßengraben, das andere stand aufrecht im Gras wie ein Pilz.
    Winn lag auf dem Rücken. Vor Schmerzen im Bein schnitt er dem Himmel eine Grimasse. Eine hohe, blumenkohlförmige Wolke schob sich vor die Sonne, und ein Gesicht erschien. »Hey!«, sagte der Mann aus dem Golfwagen und befreite Winn von dem auf ihm liegenden Rad. »Alles in Ordnung? Sind Sie am Kopf verletzt?«
    Unter dem Rand der Kappe und hinter dicken Brillengläsern blinzelten zwei kleine, wässerige Augen. Die rötliche Haut der Himmelfahrtsnase war von tiefen, reichlich vorhandenen Poren belüftet, und die Gesichtshaut hing ein wenig schlaff, als er sich zu Winn hinunterbeugte – so dicht, dass dieser den Atem riechen konnte. Der Atem des Mannes roch grünlich, nach Pferd, nach einem Wesen, das nur Gras fraß. Vielleicht wurde er nachts freigelassen, um den Golfplatz kurz zu halten.
    »Herrgott«, sagte Winn. »Himmel, tut das weh.«
    Der Mann beugte sich noch weiter zu ihm herunter und starrte wie ein Hypnotiseur in seine Augen. »Sind Sie am Kopf verletzt?«, fragte er wieder.
    Winn verdrehte den Hals. »Ich glaube nicht. Nein, das Problem ist mein Bein.« Sie sahen sich sein Bein an. Es blutete.
    »Sie müssen die Wunde zudrücken«, sagte der Mann. Er zog ein rotes Taschentuch mit Paisleymuster aus der Tasche und reichte es Winn.
    »Stimmt«, sagte Winn. Er zog seinen Siegelring vom Finger und steckte ihn in die Tasche seiner Shorts. Dann presste er das Taschentuch auf die Wunde. Die Golfspieler von der Anhöhe waren verschwunden.
    Der Mann nahm nachdenklich seine Unterlippe zwischen Daumen und Zeigefinger. »Möchten Sie mein Telefon benutzen?«
    Nachdem er Biddy am Strand benachrichtigt und gebeten hatte, ihn abzuholen, saß Winn im Gras und betrachtete seinen neuen Widersacher. Seiner Erwartung nach musste der Mann jetzt etwas sagen, aber der stand nur schweigend da und starrte in die Ferne, als wartete er auf einen Bus.
    »Sind sie Mitglied im Pequod?«, fragte Winn.
    »Nein, ich arbeite dort.«
    Winn zählte einen Punkt für sich. Er konnte einen Caddie eine Meile gegen den Wind erkennen. »Mit Verlaub«, sagte er, »Sie hatten keine Vorfahrt. Sie waren mit einem Kraftfahrzeug auf einem Radweg.«
    Der Mann schaute sich überrascht nach dem Golfwagen um, als hätte er ihn auf die Schulter getippt. »Mit einem Kraftfahrzeug?«, fragte er.
    »Richtig«, sagte Winn.
    Der Mann zuckte die Achseln. »Das ist ein Golfwagen.«
    »Er hat einen Motor.«
    »Aber er ist kein Auto.«
    »Das hat nichts zu sagen.«
    »Doch, ich meine schon.«
    »Nun«, sagte Winn, »sei’s drum. Es ist gefährlich, damit auf dem Radweg zu manövrieren. Deswegen gibt es ja überhaupt einen getrennten Weg für die Golfwagen, und deswegen muss man sich daran halten. Wenn Sie auf den Radweg müssen, dann nur zu Fuß.«
    »Das steht nirgends geschrieben«, sagte der Mann. Er steckte die Hände in die Taschen.
    Winn war entgeistert. Dieser Mann – dieser Kerl, der ihn vom Fahrrad gestoßen und ihm eine Wunde beigebracht hatte, die offensichtlich genäht werden musste und dank der er humpeln würde, wenn er Daphne zum Altar geleitete –,dieser Mann hatte scheinbar nicht die geringste Absicht, sich auch nur zu entschuldigen. Eine Entschuldigung war schlicht ein Akt der Höflichkeit, nicht unbedingt ein Schuldgeständnis und besaß gewiss keine rechtliche Verbindlichkeit. Er sollte sich dafür entschuldigen, dass er Winn Schmerzen zugefügt hatte, selbst wenn er ein Mensch war, dessen Begriff von Kraftfahrzeugen und anderen Fahrzeugen vage war.
    »Wie heißen Sie?«, fragte Winn.
    »Otis Derringer.«
    »Mister Derringer«, sagte Winn, »ich warte schon die ganze Zeit darauf, dass Sie sich

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