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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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abgekaute Fingernägel entschieden. Ivy stand nun doch so dicht vor ihm, dass sich beinahe ihre Bäuche berührten. Ihrer blubberte leicht. Sie vertrug einfach keinen Weißwein. Nachdem sie das erste Glas eilig geleert hatte, um sich schnellstmöglich in einen angenehmen, rauschhaften Zustand zu versetzen, hatte Fortier ihr Glas fürsorglich erneut gefüllt. Und sie hatte es dann doch augenblicklich ausgetrunken. Im nicht angetrunkenen Zustand hätte sie es unmöglich übers Herz gebracht, sich bereits nach einer Stunde kaltblütig vom Tisch zu erheben, bevor überhaupt ihr verdutzter Chef das Dessert servieren konnte, um mit zusammengebissenen Zähnen zu nuscheln: »Ich muss los.«
    Noch immer war ihr Blick auf Vincents reglose Lippen geheftet. Sein roter Bart schmiegte sich dicht um seinen sanft geschwungenen, hellen Mund. Seine borstigen Haare waren ordentlich nach hinten gestriegelt. Ach, Ivy kannte jedes kleine Fältchen, jede noch so feine Linie, den farblichen Verlauf, von unter den Lidern bis hin zum Bartansatz. Jetzt ließ sie ihren Blick an seiner schmalen, geraden Nase hinaufgleiten, hinauf zu seinen tiefgrünen Augen. Sie versuchte, ihren Blick ruhig und konzentriert zu halten. Still war es um sie herum. Still und unheimlich. Um möglichst keinen Laut zu machen, kramte sie vorsichtig in ihrer Harrods-Tüte, um ihr Handy zum Fotografieren hervorzuziehen. Hauptsache, dafür war es hier nicht zu dunkel.
    Hinter sich hörte sie ein Räuspern. »Was tun Sie hier?«
    Ivy fuhr herum. »Ich …« Es gab keine vorbereitete Ausrede. Gar nichts. Nichts, was sie zu ihrer Erklärung, zu ihrer glaubhaften Verteidigung hätte hervorbringen können.
    Mit einer immens starken Taschenlampe wurde ihr direkt ins Gesicht gestrahlt. Reflexartig hob sie den linken Arm und hielt ihn schützend vor die Augen, in der Hoffnung zu erkennen, wer die Taschenlampe in der Hand hielt. Der Versuch war vollkommen zwecklos. Ivy zog den Kopf ein, aber auch das half nichts. Es konnte sich nur um einen der Sicherheitsleute handeln. Sie hatte ihn gar nicht kommen hören. Wenigstens trug sie Gummistiefel. Damit assoziierte sie nur erfolgreiche Momente aus der Kindheit. Kaulquappen mit dem Marmeladenglas fangen!
    Weil Ivy nichts Besseres einfiel, lächelte sie fröhlich. Auch das hatte in der Kindheit oft geholfen, wenn es eigentlich hätte Ärger geben sollen. Sie lächelte unerschrocken vor sich hin, während die strenge Männerstimme jetzt mit noch mehr Nachdruck fragte: »Was Sie hier tun, will ich wissen.«
    »Könnten Sie vielleicht die Taschenlampe ein wenig zur Seite nehmen?«
    Der Lichtkegel zog sich aus ihrem Gesicht zurück, sodass Ivy ihren Arm in der raschelnden Regenjacke herunternehmen konnte. Vor ihr stand Bernie. Was für ein Zufall! Eilig schob sie ihre Kapuze vom Kopf, damit auch er sie erkannte. »Hi, ich bin’s. Ivy, von oben, aus der Werkstatt.«
    Er schien ungerührt.
    »Das sehe ich, aber was tun Sie hier?«
    »Ich …«, Ivy suchte nach den richtigen Worten. »Ich … ich konnte nicht schlafen, weil ich plötzlich dachte, ich hätte … ich hätte van Goghs rechtes Auge nicht richtig – fixiert …« Ivy wies mit dem Daumen hinter sich. »Ich dachte, dass ich sicherheitshalber noch mal nachschaue, nicht … dass sich die Besucher morgen erschrecken oder der gute Ruf von unserem Unternehmen durch meine Unachtsamkeit beschädigt wird … Das wäre mir wichtig.«
    Bernie sah sie mit hochgezogenen Brauen an. Das Mädel machte ja einen vollkommen desolaten Eindruck. »Ist Ihnen das denn schon mal passiert, dass ein Auge nicht richtig eingesetzt war?«
    Ivy schüttelte den Kopf und gab geknickt zu: »Vermutlich hab ich mich da in etwas hineingesteigert.«
    Bernie nickte und musterte sie von unten nach oben. »Waren Sie draußen auf dem Land?«
    »Ich?« Ivy schüttelte den Kopf. »Nein, es hat nur so geregnet, und ich wollte das Auge überprüfen und …«
    Bernie ließ nun die Taschenlampe sinken und streckte seinen anderen Arm Richtung Decke aus. In der Hand hatte er eine Fernbedienung, mit der er das gedimmte Licht heller werden ließ. Er trug ein kurzärmeliges dunkelblaues Hemd mit goldenem Anstecker auf der rechten Brusttasche, der aussah wie ein echtes Polizeiabzeichen. Der Security-Mann war ziemlich untersetzt, an seiner linken Schulter klemmte ein schwarzes Minifunkgerät, aus dem es unaufhörlich rauschte und surrte. Seine Augen guckten verwirrt, als wollten sie dem Gehirn die Denkarbeit abnehmen. Schließlich

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