Leichte Turbulenzen - Roman
seufzte er und nahm das kleine Funkgerät von der Schulter. Mit seinem dicken Daumen drückte er auf den Sprechknopf, nachdem eine männliche Stimme mehrfach besorgt durch das Rauschen gefragt hatte, ob bei ihm alles in Ordnung sei. Ohne Ivy aus den Augen zu lassen, meldete er: »Jep, alles roger. Over.«
Anschließend heftete er sich das kleine Funkgerät wieder an die Schulter und beugte sich vertraulich zu Ivy vor. »Ich verstehe Ihre plötzliche Unruhe. Geht mir oft genauso. Wenn ich aus der Wohnung raus bin, muss ich noch zehnmal zurück, auch wenn ich schon unten auf der Straße stehe. Nur um zu gucken, ob ich auch wirklich die Kaffeemaschine ausgestellt habe. An manchen Tagen ist es ganz schlimm. Das weiß ich schon, wenn ich morgens aufwache. Ich spüre sofort: Heute ist wieder so ein verhunzter Tag, an dem ich alles zehnmal kontrollieren muss. Inzwischen schalte ich die Kaffeemaschine schon gar nicht mehr an, sondern gehe gleich los. Aber auch das hilft nichts. Dann überlege ich: Hast du auch alle Lichter ausgeschaltet? Hast du vielleicht gestern vergessen, den Sandwichmaker aus der Steckdose zu ziehen, oder glüht er inzwischen? Und zack, muss ich noch mal die Treppen hoch. Verstehen Sie?«
Ivy nickte, als sei sie voll bei der Sache. »Absolut.«
Bernie zog sich, um die Heftigkeit seines Geständnisses zu unterstreichen, mit beiden Händen den Hosenbund hoch, was nicht viel brachte, da er den Gürtel nicht über seinen massigen Bauch bekam. Augenblicklich rutschte die Hose wieder schlaff nach unten.
Ivy ließ das Handy in die Tasche von ihrer Jacke gleiten und klatschte beflissen in die Hände. »Na, dann will ich mich trotzdem mal eben von der Haltbarkeit seiner Augen überzeugen – wo ich schon mal hier bin.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und tastete fachmännisch an Vincents Augenlidern herum. »Scheint alles in Ordnung zu sein. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich dennoch gern zum Beweis ein Foto machen wollen. Nicht, dass ich zu Hause wieder ins Zweifeln komme. Sie kennen das ja. Was, Bernie?«
Der Wachmann machte hilfsbereit einen Schritt zurück. »Nur zu.«
Ivy lächelte dankbar. »Ich bin auch gleich weg.«
Bernie beobachtete sie, wie sie Vincent aus unterschiedlichen Perspektiven fotografierte, und fasste noch einmal den Verlauf ihrer nächtlichen Begegnung zusammen. »Von da drüben hab ich Sie herumschleichen sehen. Von da drüben. Ich stand ungefähr drei Schritte von Justin Bieber entfernt unter der Discokugel. Mir ist ganz schön die Düse gegangen, als ich Sie entdeckt habe. Konnte ja nicht ahnen, dass Sie es sind. Ich hab gedacht, was will hier jemand nachts? Da fallen einem ja erst mal nur perverse Sachen ein, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Ivy zog ihre Brauen hoch und machte eine Schnute, um möglichst arglos auszusehen. »Nein?«
»Manchen Leuten kommen die merkwürdigsten Ideen, was sie mit den Figuren anstellen könnten. So ein Irrer ist mir glücklicherweise noch nicht untergekommen, aber meinem Kollegen Eric, der hatte vielleicht ein Pech, sag ich Ihnen. Neulich hat jemand kurz vor Feierabend, als die meisten Besucher schon draußen waren, plötzlich die Hose runtergelassen und versucht, sein Ding in die Hand von …«
Sie wollte hier nur noch raus. »Entschuldigen Sie, Bernie, ich hatte nicht vor, Sie zu erschrecken. Um ehrlich zu sein, ich bin froh, dass Sie hier sind. Sogar für mich bedeutet es eine echte Herausforderung, mich ganz allein zwischen all den Figuren aufzuhalten. Das hat ja was wirklich Gespenstisches an sich.«
»Zufall, reiner Zufall!« Er hob bescheiden die Hand. »Normalerweise arbeite ich ja nur von morgens bis nachmittags, aber der Nachtwächter musste seine Frau ins Krankenhaus begleiten, Stichwort: Geburt des ersten Kindes.« Bernie machte das Daumenzeichen und drückte dabei ein Auge zu. »Danken Sie dem Ungeborenen! Wäre mein Kollege hier gewesen, hätte der Sie gleich bei Scotland Yard abgeliefert.«
Er zwinkerte wieder, offenbar war auch er erleichtert, dass es sich beim vermeintlichen Einbrecher lediglich um Ivy handelte. Sie reichte ihm die Hand. »Na, dann werde ich mal wieder.«
Er streckte ihr seine kräftige Hand entgegen und drückte ordentlich zu, sodass Ivy innerlich vor Schmerzen das Gesicht verzerrte, aber nach außen hin lächelte sie. »Dann noch eine schöne Nacht.«
Sie drehte sich um, ihr prüfender Blick streifte Vincent ein letztes Mal. Für eine Millisekunde meinte sie, nun doch wieder ein leichtes
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