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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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stieß Ivy die Schwingtür auf, die in die Galerie hineinführte, und stand direkt vor der unübersehbaren You-are-here -Schautafel, auf der die einzelnen Abteilungen der Galerie wie aneinandergekettete Bienenwaben aufgezeichnet waren. Zuerst musste sie an der sogenannten A-list-Party vorbei.
    Dort drüben, im Halbdunkel, lehnte Will Smith in Jeans und Jackett an einer Säule. Schräg dahinter, in einer mit roter Tapete ausgekleideten Nische, stand Johnny Depp und hielt ganz entspannt einen Oscar in der Hand. Ivy bewegte sich eilig zwischen den Figuren hindurch. Angelina Jolies Hand ruhte wie immer, wenn sie gemeinsam auftraten, auf Brad Pitts Brust. Ivy ging weiter an der in Pose geworfenen Christina Aguilera im silbrigen Abendkleid und Nerzjäckchen vorbei. Ihre nackte Schulter glänzte leicht. Willem hatte sechs Wochen gebraucht, um ihr die hellblonden langen Haare Strähne für Strähne so einzusetzen, dass sie exakt so fielen wie bei ihrem Original. Anschließend hatte er wegen einer Sehnenscheidenentzündung drei Wochen pausieren müssen, die er zu seinem Ärger nicht mit Angeln hatte überbrücken können.
    Das Laminat knarrte unter Ivys Schritten, als sie an dem niedrigen Podest vorbeikam, auf dem Helen Mirren im schwarzen Spitzenkleid, Leonardo DiCaprio im Smoking und Nicole Kidman in einer eng anliegenden Abendrobe wie Schattengestalten standen, bereit, sich im nächsten Augenblick in Bewegung zu setzen. Ivy drückte sich dicht an der Wand entlang, in sicherem Abstand zu Heinrich VIII. und seinen armen, von ihm zum Tode verurteilten Ehefrauen, die bekümmert dreinblickten und ganz und gar in schwere, kunstvoll bestickte Brokatkleider und üppige Halskrausen gewandet waren. Dann weiter an der aktuellen, fröhlich lächelnden Königsfamilie vorbei. Irgendetwas allerdings war mit der Frisur von Camilla Parker Bowles passiert. Als hätte einer von den Besuchern sie in einem Anfall von Übermut wild antoupiert.
    Im anschließenden Raum schlich Ivy an dem riesigen Muhammad Ali in seinen seidenen Boxershorts vorbei, der sich in siegessicherer Wettkampfpose präsentierte. Den Manchester-United-Stürmer Wayne Rooney, der seine Faust triumphierend in die Luft streckte, hatte Ivy vor drei Jahren modelliert. Mit seinen weit auseinander stehenden Vorderzähnen hatte sie beim Nachbilden ganz schön zu tun gehabt. Schräg gegenüber von dem neu eingerichteten Stand, an dem die Besucher ihre Hände in heißes Flüssigwachs tauchen konnten, um sie als Abgüsse mit nach Hause zu nehmen, befand sich die wenig prätentiöse Ecke mit Europas wichtigsten Dichtern, Denkern und Künstlern. Dicht gedrängt stand Vincent mit den anderen seiner Sparte in der cremefarbenen Nische, deren Stellwände mit zitronengelber Tapete beklebt waren. Zuerst nickte Ivy Shakespeare zu, der in einem goldenen Brokatanzug mit Pumphosen und braunen Kniestrümpfen steckte. Einen knappen Meter von ihm entfernt saß schon Charles Dickens im langen Gehrock mit übereinandergeschlagenen, spinnenhaften Beinen und einer Halsbinde. Sein Blick ging irgendwie ins Leere, so als hätte er etwas Beängstigendes gesehen. Ihm hatte sie nicht die Augen eingesetzt, genauso wenig Picasso, der schräg hinter Dickens rittlings auf einem geflochtenen spanischen Stuhl saß. Die beiden waren weit vor ihrer Zeit modelliert worden. Picasso schaute den Besucher leicht amüsiert an, so als sei er bereits im Begriff, in ihm die kubistische Abstraktion zu erkennen. Ihr Blick rückte noch ein Stück weiter und blieb jetzt an Vincents sonnengerötetem Gesicht mit den smaragdgrünen Augen hängen. »Hallo«, flüsterte sie und machte ein paar lautlose Schritte auf ihn zu. Dabei beobachtete sie genau seine Lippen, ob sie sich vielleicht wieder öffnen würden.
    Als sie nur noch einen halben Meter entfernt von ihm stehen blieb, zögerte sie, noch einen weiteren Schritt auf ihn zuzumachen. Was, wenn er wieder anfing zu sprechen? Hier, in der menschenverlassenen Galerie, zwischen all den leblosen Wachsfiguren, deren lacküberzogene Augen im fahlen Licht seltsam funkelten, wäre sie vor Entsetzen augenblicklich ohnmächtig geworden. Mutig hob Ivy ihre Hand und legte sie sanft auf seine kühle Glasfaserhand. Mit ihr hatte sie sich so viel Mühe gegeben. All die feinen Äderchen, die Struktur der Haut, die darunter liegenden Pigmentflecken. Schicht für Schicht hatte sie die Farben aufgetragen, um das Durchscheinende der Haut naturgetreu nachzuempfinden. Intuitiv hatte sie sich für leicht

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