Leichte Turbulenzen - Roman
intellektuell aufwerten.«
»Wer?«
»Na, die Trawallys.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Was soll sonst der Grund gewesen sein, mich zu ihrer Silvesterparty einzuladen?«
»Vielleicht fanden sie dich einfach nett?«
»Mich hat noch nie jemand einfach nur nett gefunden. Schon in der Schule fanden mich meine Klassenkameraden blöd, weil ich ehrgeiziger war als sie«, sagte Nathalie. »Tamara, die Tochter unserer Nachbarn, hat mich ab der neunten Klasse nicht mal mehr gegrüßt, weil sie dachte, ich will mich an ihren Freund heranmachen.«
»Und? Hast du?«
Nathalie grinste. »Was blieb mir anderes übrig? Die Mädchen haben mich gehasst, also musste ich mich an die Jungs halten. Und heute laden mich die Leute ein, weil sie glauben, dass sie sich mit mir intellektuell aufwerten können, weil ich Politikwissenschaften studiert habe und sie nicht.«
Trotz dieser Einsicht hatte Nathalie die Silvestereinladung des »Glamourpärchens« angenommen, für die die Trawallys extra einen Sushimeister angestellt hatten, der bis zum Morgengrauen Sushis rollen sollte. Das hatte Nathalie bereits bei der Begrüßung von der in ein schwarzes, glitzerndes Cocktailkleid gehüllten Gastgeberin erfahren. »Bis zum Morgengrauen wird der Meister Sushis rollen.«
Im Badezimmer, das komplett mit stumpfschwarzen Schieferplatten ausgekleidet gewesen war, hatte Nathalie keine zehn Minuten später, mit bereits einem doppelten Wodka-Martini im Blut, damit geliebäugelt, das Duschgel von Aveda in ihrer Handtasche verschwinden lassen. Die mintgrüne Plastikflasche hatte auf dem Wannenrand der frei schwebenden Edelstahlbadewanne gestanden, und Nathalie hatte im Kopf überschlagen, was so ein Ding im freien Handel kostete. Bestimmt nicht unter zwanzig Euro. Ihr hatte die Vorstellung gefallen, mit Leuten befreundet zu sein, die Herzspezialisten waren und sich solche Luxus-seifen leisten konnten.
Peer war mit seiner damaligen Freundin Jenny, einer Malerin, erschienen. Den ganzen Abend über hatte sie Peer nicht aus den Augen gelassen, der sich bereits kurz nach seinem Eintreffen ausschließlich mit Nathalie auf dem silbergrauen Sofakomplex über die Faszination am Kampfsport unterhalten hatte. Drei Tage später hatte er die überraschte Jenny für Nathalie verlassen. Sie schloss die Augen und fragte sich, warum nicht jede Frau auf der Welt einen so wundervollen Ehemann haben konnte. Sie flüsterte: »Ich mach mir Sorgen, dass Ivy gestalkt wird.«
Peer hob den Arm und stellte den dramatischen Gesang mit der Fernbedienung leiser. »Warum sollte jemand Ivy stalken?«
»Na ja«, Nathalie richtete sich auf. »Offenbar ist sie jemandem im Flieger begegnet, der sich ziemlich merkwürdig verhalten hat.«
Peers Handy vibrierte, das mit dem Display nach unten neben ihm auf dem weiß lackierten Beistelltischchen lag. Seine linke Hand, die auf der Sofalehne ruhte, zuckte, griff aber nicht zu. Nathalie musterte ihren Mann argwöhnisch, der sie verspannt angrinste. »Wird schon nicht so wichtig sein.«
Nathalie schluckte trocken und verschränkte die Arme vor der Fleecepullibrust. »Wer schickt dir denn bitte jetzt noch SMS ?«
Peer zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
Nathalie hatte eigentlich noch den Abwasch machen wollen. Vorhin war ihr nämlich der Milchreis am Topfboden angebrannt. Doch sie schaffte es nicht, sich vom Sofa zu erheben. Wie angewachsen saß sie da. Als hätte sie Wurzeln ins verdammte Polster geschlagen. Wie konnte man sich mit 37 Jahren nur derart hilflos fühlen? Wieso konnte sie nicht einfach das Handyvibrieren ignorieren? Warum schellten bei ihr gleich sämtliche Alarmglocken. Wem diente es, dass sie automatisch fürchtete, dass ihr Mann sie betrog? Was konnte sie dagegen tun, dass, sobald sein Handy klingelte, Setkarten von Models vor ihrem inneren Auge vorbeiflatterten? Bis sie Peer getroffen hatte, war sie nie verbindliche Beziehungen eingegangen, weil sie glaubte, sich auf niemand verlassen zu können, außer auf sich selbst. Aus Liebe zu ihm hatte sie eine Ausnahme gemacht, und nun war so viel Schönes aus dieser Gemeinschaft entstanden. Ihr Zuhause, ihre Tochter, die Vertrautheit und das Gefühl von Sicherheit. Doch sobald sie sich ihr ungebrochenes Glück vergegenwärtigte, meldete sich die Angst, all das auf einen Schlag zu verlieren. Durch Krankheit, Unfall oder Betrug. Warum zwang sie ihren Mann nicht einfach nachzusehen, von wem er da gerade eine SMS bekommen hatte? Seltsam, dass ihn das nicht selbst
Weitere Kostenlose Bücher