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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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aber manchmal kommt es mir so vor, als würden Frauen verlässlich Probleme kriegen, wenn Gefühle ins Spiel kommen. Oder als würden sie nur auf Typen stehen, die ihnen Probleme machen. Wenn du als Typ keine Probleme machst, kriegst du keine Frau ab. So einfach ist die Rechnung. Na ja, aber was Ivy und mich anbelangt, da ist meiner Ansicht nach das letzte Wort noch nicht gesprochen. Ich denke, sie muss erst einmal wieder zu ihrer Selbstliebe zurückfinden. Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass sie sich stark zu mir hingezogen fühlt, aber Angst hat, sich zu öffnen. Kein Wunder nach der Geschichte in ihrer Jugend. Ich meine die Sache mit ihrer Mutter. Da redet sie ja mit niemandem drüber. Im Grunde genommen bin ich der Einzige, der darüber wirklich Bescheid weiß. Aber ich bin auch der Meinung, es würde ihr mal ganz guttun, sich der Vergangenheit zu stellen. Nicht mal mit Walter – ihrem Vater – hat sie bisher drüber geredet. Sie trägt ja diesen klobigen Verlobungsring ihrer Mutter – wie ich das finde? Da enthalte ich mich lieber der Stellungnahme. Sie legt ihn nie ab, ständig verfängt sich das Ding in ihren Haaren, und ich muss ihr helfen, es wieder rauszubekommen. Ohne Übertreibung kann ich sagen: Ich bin ihr einziger Vertrauter.«
    Ivy schloss kurz die Augen. Es gab keinen Grund, über sie eine Fernsehdokumentation zu drehen. Früher, als kleines Mädchen, hatte sie fest daran geglaubt, dass sie aufgrund ihrer Einmaligkeit weltberühmt werden würde. Selbstverständlich war sie davon ausgegangen, so bedeutend zu sein, dass ständig Dokumentationen über sie gedreht werden würden, um den Leuten weltweit von ihrem schillernden Leben zu erzählen. Wo war es hin? Willems Talking Head wusste die Antwort: »Ivy hat ihren Funken verloren. Er ist verglüht. Der Einzige, der sie da wieder rausholen kann, bin ich. Jemand, der sie an ihre Wurzeln erinnert. An ihre künstlerische Urkraft.«
    Ivy versuchte, in ihrer Vorstellung Willems gegen Desmonds Gesicht auszutauschen, was ihr nicht gelang. Dafür gewann Willems Gesicht zunehmend an Dreidimensionalität, als schwebte es direkt vor ihr im Raum. Wie einer dieser riesigen, mit Helium gefüllten Aluballons, die man auf dem Trafalgar Square kaufen konnte, tanzte es glänzend vor ihr auf und ab. Willem hatte schon ein paar Male versucht, Ivy zu küssen. Volltrunken bei Betriebsfeiern oder damals, wenn sie in ihrer WG nachts in der Küche gesessen und Psychospielchen gespielt hatten, um an ihr verschüttetes Unterbewusstsein zu gelangen. »Wir passen so gut zusammen, Chuck.« Das erklärte er auch heute noch, weshalb er sie – darum hatte ihn Ivy schon hunderttausendmal gebeten – nicht Chuck nennen sollte. Aber der Spitzname kam noch von früher, als Ivy während des Studiums ausschließlich grasgrüne Chucks getragen hatte. Irgendwie sehnte sie sich nach Desmond. Das brachte ja nichts. Wie gerne sie ihm all ihre kleinen Geschichten erzählt hätte. Vermutlich würde sie ihn nie wiedersehen.
    Ihr Funke war eben erloschen.
    Jetzt saß er bei seinen drei besten Freunden gleich hier um die Ecke in Kensington. Überraschend kamen noch vier gut aussehende, ungebundene Studienabsolventinnen dazu. Und eine davon war vermutlich die Frau seines Lebens. Ivy schluckte. Der Gedanke, dass Desmond, dem sie im Flugzeug so nah gewesen war, mit dem sie sich so angeregt unterhalten hatte, gerade einer wohlerzogenen, dunkelhaarigen Betriebswirtschaftlerin am Küchentisch gegenübersaß, machte Ivy fertig. Garantiert sah sie so unproblematisch und tatkräftig aus wie Pippa Middleton, und gerade in diesem Augenblick fragte er sie, ob sie Lust hatte, ihn nach North Carolina zu begleiten. Und sie sagte auch noch spontan Ja, weil sie aus geistigem Purismus und fehlender Fantasie keine Angst vor Interkontinentalflügen hatte.
    Diese Vorstellung machte Ivy fix und fertig.
    Sie nahm den Verlobungsring vom Finger und ließ ihn hinter das Sitzpolster des Sessels fallen. Am liebsten hätte sie sich für die nächsten Monate betäubt. Mit dem letzten Rest von Javis’ Whiskey. Warum hatte sie bloß derart abweisend auf diese wundervoll mutige Einladung reagiert? Ein einfaches, fröhliches: »Ja, ich fliege mit!« wäre angebracht gewesen. Ihr Blick schwebte hoch zum obersten Regalbrett, wo die Whiskeyflasche lagerte. So wie die Dinge in den letzten Jahren gelaufen waren, würde Desmond sich nicht die Mühe machen, sie vor Madame Tussauds abzufangen, um sie näher kennenzulernen. Warum

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