Leichte Turbulenzen - Roman
nicht daran. »Das klingt verdammt noch mal nach Henry Moores Werdegang. Ich sage dir, Chelsy hat in ihrem Leben noch nichts behauen.«
Es konnte allerdings auch sein, dass Willem sich einfach vor Chelsys Durchsetzungsvermögen fürchtete. Seit seiner Einstellung vor knapp sechs Jahren machte er sich Sorgen, dass Fortier ihm kündigen könnte.
Fortier räusperte sich. »Na, dann … ist ja noch alles möglich. Ich meine, die Sache mit den Kindern. Sie sind ja noch jung.« Nervös versenkte er seine Hände in den weiten Taschen seiner Club-of-Comfort-Bundfaltenhose, wobei die Schöße seines dunkelblauen Jacketts nach hinten wegstanden.
Ivy lächelte verlegen. »Immerhin ist meine Schwester verheiratet. Mit einem Firmenberater.«
»Natürlich.« Fortier nickte ihr zu, wobei er leicht die Luft ausblies. »Und?« Plötzlich zog er die Augenbrauen hoch. »Beginnen Sie heute mit Vince? Haben Sie genügend Material? Die Verwaltung müsste Ihnen am Freitag eigentlich noch einen Stapel Unterlagen …«
Ivy schielte hinüber zur Werkstatttür, hinter der sie endlich verschwinden wollte. »Ja, ist alles angekommen. Vielen Dank. Ich habe mir auch noch zusätzliches Material besorgt. Fotografien seiner Eltern und seiner Geschwister hab ich mir ebenfalls bestellt, die müssten in den nächsten Tagen ankommen – hoffe ich.«
Mit einem Mal schien Fortier von einer inneren Unruhe heimgesucht worden zu sein. »Haben wir überhaupt schon besprochen, wie er werden soll?«
Bevor Ivy antworten konnte, klingelte es in ihrer Manteltasche. Ohne ihren Blick von Fortier abzuwenden, der nun seine Hände knetete, zog sie das Handy hervor. Dieses Mal war es ihr Vater. Ivy schaltete den Ton ab. »Ja.« Was nicht stimmte. Sie würde morgen die Sache mit den verlorenen Quittungen ansprechen.
»Prima.«
Sie war also seine Mitarbeiterin. Ivys eigenwilliger Gesichtsausdruck machte Fortier ganz kirre. Ihr hellblondes Haar band sie verlässlich zu einem unordentlichen Pferdeschwanz, als würde sie es nie kämmen. Ihre ausgetretenen Ugg-Boots mussten schon öfter vollkommen durchnässt gewesen sein, die Feuchtigkeit hatte hässliche Ränder auf dem dunkelgrauen Wildleder hinterlassen. Glücklicherweise trug sie diesen gut geschnittenen dunkelblauen Trenchcoat, wahrscheinlich hatte sie irgendjemand beim Kauf des Mantels beraten. Oder aber diese Ivy besaß wider Erwarten Geschmack, den sie leider viel zu selten für ihr Aussehen nutzte. Fortier machte einen Schritt zurück, um seine Angestellte eingehend von Kopf bis Fuß mustern zu können. Natürlich! Graue, ausgebeulte Jogginghosen! Wie war es möglich, dass eine so hübsche Frau sich mutwillig verunstaltete? Offenbar war es an der Zeit, für die Tussauds-Mitarbeiter einen Kleiderkodex durchzusetzen. Damals, als er 1994 jüngster Filialleiter aller Zeiten bei Woolworth gewesen war, hatte er im Personalbereich überall Spiegel aufhängen lassen, über denen Schilder mit der Aufschrift klebten: »So sehen unsere Kunden Sie.« Vielleicht sollte er diesen Brauch auch in diesem Hause einführen. Sein Blick blieb an Ivys abgeschräbbelter, tannengrüner Harrods-Plastiktüte hängen. Eine bunt geflochtene Bottega-Veneta-Handtasche wäre charmant gewesen. Elegant und fröhlich.
Ivy stopfte ihr Telefon zurück in die Manteltasche. »Verzeihung. Das war … mein Vater. Ich weiß nicht, was er wollte …«
Fortier winkte ab. »Kein Problem. Aber sagen Sie, haben wir tatsächlich besprochen, wie van Gogh werden soll?«
Breitbeinig baute er sich vor Ivy auf und blinzelte sie forschend an. Aus der Werkstatt über ihnen drang eine grauenhaft verzerrte Plastik-Pop-Frauenstimme. Im Prinzip war es ihm egal, wie Ivy Vincent van Gogh modellierte. Sie hatte noch nie kümmerliche Arbeit abgeliefert. Sie kannte ja seine Vorgaben. »Die Figuren müssen den Besuchern Spaß machen.« Er wollte einfach nur ein wenig mit ihr plaudern. Ihre Gedanken mitgeteilt bekommen und dabei ihre niedliche Nase beobachten. Er war ganz vernarrt in Ivys niedliche Nase. Fortier konnte auch genau sagen, seit wann. Seitdem er neulich bei ihr und diesem Willem in der Werkstatt gewesen war, um mit ihnen die Pläne fürs kommende Jahr zu besprechen. Da Miss Bachmann offenbar nicht mehr bereit war, Interkontinentalflüge anzutreten, was für einen Mitarbeiter eines international agierenden Unternehmens zugegebenermaßen etwas unangebracht war, flogen lediglich Willem und diese aufdringliche Bildhauerin von oben in die USA, nach China und
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