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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Windblouson und mit Walkie-Talkie ausgestattet den Neuankömmlingen geduldig und doch irgendwie automatisch die immer gleichen Fragen beantwortete: »Ja, richtig! Der Aufsteller dort vorne auf dem Gehweg bedeutet, dass Sie von da an noch zwei Stunden warten müssen, bis Sie drin sind.« Oder: »Wenn Sie bereits Tickets bestellt haben, müssen Sie sich an Tür 2 anstellen.« Oder: »Sie können die Tickets auch unter dieser Nummer telefonisch buchen und dann in drei Stunden wiederkommen. Bitte benutzen Sie Tür 3 als VIP -Eingang für Reisegruppen.«
    Sie winkte Tony kurz zu und stieg im Vorraum in den Lift. Hier draußen wirkten die Touristen noch richtig harmlos, doch sobald sie auf die Wachsfiguren losgelassen wurden, nutzten sie deren Wehrlosigkeit voll aus. Besonders die Männer freuten sich, dass sie Angelina Jolie endlich mal an den Po oder den Busen fassen konnten. Unanständig drückten sie sich an die weiblichen Figuren heran und ließen sich von ihren Angehörigen in zweifelhaften Posen fotografieren. Als wollten sie sagen: »Guck mal, was ich mit dir machen kann, du eingebildete Pute.« Es war, als hätten die Leute eine regelrechte Wut auf die Prominenten und bräuchten den Akt der Erniedrigung, um auf diese Weise ihr gestörtes Selbstbewusstsein aufzubauen. Vermutlich lag darin das ganze ernüchternde Erfolgsgeheimnis von Madame Tussauds. Aber es gab auch eine Handvoll ehrfürchtiger Besucher, die staunten, wie es möglich war, dass die Stars derart lebendig wirkten. Sie waren daran interessiert, wie die Figuren hergestellt wurden und wie lange es dauerte, ihnen die Haare einzusetzen. Ob es aufregend war, die echten Berühmtheiten zu treffen, und worüber man während des Maßnehmens mit ihnen plauderte.
    Als Ivy in der dritten Etage aus dem Lift ins ketchuprot gestrichene Treppenhaus stieg und hinüber zur Werkstatttür ging, hörte sie Fortier von oben ihren Namen rufen. »Ivy!«
    Eilig kam er die Treppe herunter. »Ivy, warten Sie!« Die letzten Stufen nahm er sportlich mit einem kleinen Hopser. Ob er wusste, dass er wie Jeff Bridges’ Doppelgänger aussah? »Wie geht es Ihnen? Hatten Sie ein schönes Wochenende?«
    »Ja. Danke.« Ivy nahm sich vor, ihn gleich auf ihre Ausgaben anzusprechen, für die sie die Quittungen verloren hatte.
    Fortier war offenbar in Plauderstimmung. Die oberen beiden Knöpfe seines karierten Hemdes standen offen. »Was haben Sie gemacht? Ein bisschen entspannt?«
    Es war nicht das erste und auch nicht das zweite oder dritte Mal, dass er unvermittelt die Treppe heruntergesprungen kam, wenn sie gerade aus dem Lift gestiegen war. Ivy griff nach der Klinke, um so schnell wie möglich in der Werkstatt zu verschwinden. »Ich war bei meiner Schwester in Berlin.«
    »Ah! Tolle Stadt.« Fortier lächelte fröhlich und blieb ein gutes Stück entfernt von Ivy stehen, um sie zu zwingen, die Klinke wieder loszulassen und zu ihm herüberzukommen. »Haben Sie sich was angesehen? Den Funkturm, die East Side Gallery, Checkpoint Charly? Ich werde nie vergessen, wie ich und meine Exfrau Madeleine damals unser Flitterwochenende im Hotel Adlon verbracht haben. Das hatte sich Madeleine gewünscht. Eine Freundin hatte ihr von dem legendären Kasten erzählt und gemeint, sie müsse unbedingt dort übernachten. Ich fand es in Ordnung, ein bisschen bemüht vielleicht, aber die Betten waren wirklich außergewöhnlich bequem. Auf dem Rückflug gab’s allerdings einen kleinen Zwischenfall. Plötzlich rief der Pilot die Crew zu sich, von wegen: ›Crew bitte ins Cockpit.‹ Und dann die nächste Durchsage: ›Tja, Leute, wir müssen uns auf eine Notlandung im Meer einstellen, legt besser mal die Schwimmwesten an.‹ Et cetera. Mich hat das überhaupt nicht gewundert, schon auf dem Rollfeld waren mir seltsame Geräusche aufgefallen.« Fortier nickte zufrieden vor sich hin. »Es war wirklich knapp. Seltsamerweise hatte ich überhaupt keine Angst. Man denkt ja, dass man in so einem Fall durchdreht. Aber die Leute um mich herum holten in aller Gemütsruhe ihre Mobiltelefone heraus, bereit, die Katastrophe fotografisch festzuhalten oder gefühlvolle Abschieds- SMS an ihre Liebsten zu verschicken.«
    Ivy saugte jedes seiner Worte auf. Es war merkwürdig. Ihre Angst vor einer Flugzeugkatastrophe sorgte nicht dafür, dass sie nichts darüber hören wollte, ganz im Gegenteil: Sie war süchtig nach Details. »Und dann?«
    »Hm?«
    »Was ist dann passiert?«
    »Ich weiß nicht«, Fortier zuckte mit den Schultern.

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