Leichte Turbulenzen - Roman
»Wir sind dann ganz normal weitergeflogen und in London gelandet!«
Ivys Herz holperte. Ihre Stimme klang dünn, dennoch ehrfürchtig. »Ich hätte das nicht überlebt.«
Er nickte nachdenklich. »Ja.«
Da er nichts weiter sagte, nickte Ivy nun auch. »Hat man Ihnen denn hinterher gesagt, was das Problem war?«
»Nein.« Fortier schüttelte nachdenklich den Kopf. »Ich glaube nicht.«
»Ist der Flieger abgesackt?«
»Auch nicht.« Er überlegte. »Im Grunde genommen war gar nichts anders als sonst. Bis auf dieses merkwürdige Geräusch, das mir eben schon auf dem Rollfeld aufgefallen war.«
»Wie klang denn das Geräusch?«
»Puh, ich weiß es nicht mehr. Anders. Irgendwie anders.«
Offenbar waren aus Fortier keine weiteren Fakten herauszuholen, die Ivys Gruseln angenehm hätten verstärken können. Also fragte sie: »Und Sie? Ich meine, hatten Sie ein schönes Wochenende?«
»Ah ja. Ich hab …« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich hab meine Sachen aus Madeleines und meiner Wohnung geräumt. Ein alter Schulfreund hat mir geholfen, den ganzen Kram in Pappkartons zu verstauen und mich vor meiner ›Exfrau‹ zu schützen.« Er lachte kurz auf, zum Zeichen, dass er einen Scherz oder so etwas in der Art gemacht hatte.
Was meinte Fortier denn mit »schützen«? Das hätte Ivy gerne gewusst. Konnte sie ihren Chef das fragen? »Und jetzt wohnen Sie in einer neuen Wohnung?«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Ja, Gott sei Dank. Allein, in einer neuen Wohnung. Ganz allein. Ich kann machen, was ich will. Alles. Egal, was.«
Was hieß das denn? Massen von Chips und Schokolade essen und bis nach Mitternacht fernsehen? »Klingt gut.«
Fortier hielt sich regelrecht selbst umschlungen. »Ja, wir haben ja auch Gott sei Dank keine Kinder, die jetzt unter der Trennung leiden könnten. Das ist der Vorteil.«
Ivy nickte. Es konnte also auch Vorteile haben, keine Kinder zu haben. Sie grinste, zum Zeichen, dass sie jetzt einen Scherz machte. »Sehen Sie! Meine vierjährige Nichte hat mich am Wochenende gefragt, warum ich keine Kinder habe. Jetzt kenne ich den Grund.«
»Ah. Sie sind doch aber verlobt. Oder? … Oder nicht? Da steht das Thema bestimmt noch …«
»Bitte?«
Ivy sah Fortier verwirrt an, der Ivy verwirrt ansah.
»Ich dachte«, Fortier suchte nach geeigneten Worten, wobei er sich nervös sein stufig geschnittenes graublondes Haar aus der Stirn strich. »Sie hatten doch immer diesen Ring mit diesem, diesem Stein am Finger. Da dachte ich …. Tragen Sie ihn gar nicht mehr? Haben Sie Ihre Verlobung aufgelöst? Das tut mir leid. Da sitzen wir ja quasi im selben Boot.«
»Ach, das!« Ivy lachte angespannt auf. »Das war nur der Verlobungsring meiner Mutter.«
»Oh.« Fortier tänzelte hilflos von einem Fuß auf den anderen.
Worum ging es hier eigentlich gerade? Suchte er nach Leidensgenossen? Dass Fortier unter der Scheidung von seiner Frau litt, hatte Ivy neulich von Chelsy erfahren, die in der Werkstatt ein Stockwerk höher arbeitete und deren einziges Hobby Fortiers Privatleben war. Chelsy wusste alles über ihn. Auch, dass er ein Wochenend-Emotions-Seminar besucht hatte, um über die Trennung hinwegzukommen. Diese Chelsy fand alles heraus, indem sie Nicky, seiner Assistentin, ständig jede noch so winzige Bewegung in Fortiers Leben aus der Nase zog. Zu diesem Zweck ging sie mit ihr im gegenüberliegenden Coffee Shop Pizza essen oder lud sie am Wochenende zum Tee in die Tate Gallery ein, nur, um alles über ihren Chef zu erfahren. Was ein ziemlich anstrengendes Unterfangen war, wie Chelsy neulich zugeben musste, da Nicky »abartig« verschwiegen war. Doch Chelsy hatte nicht vor aufzugeben. Fortier sollte ihr verfallen und sie auf Knien anflehen, ihn zu erhören. »Er ist ein Romantiker. Wie Jeff Bridges in Die fabelhaften Baker Boys .« Solches Zeug äußerte Chelsy andauernd. »Er ist so sexy!« Sie war regelrecht besessen von ihm.
Bisher hatte Ivy noch nicht darüber nachgedacht, aber vielleicht sollte sie ihren Chef beizeiten mal darüber in Kenntnis setzen, wer wusste schon, wozu diese Chelsy fähig war? Kannte irgendjemand ihren wahren Lebenslauf? Ihren Angaben zufolge war sie in Castleford, Yorkshire, als siebtes von acht Kindern geboren worden, hatte bereits mit elf Jahren beschlossen, Bildhauerin zu werden, und mit Unterstützung ihres Kunstlehrers frühzeitig Ton modelliert und Holz behauen. Studiert hatte sie, wie sie behauptete, an der Leeds School of Art. Willem glaubte
Weitere Kostenlose Bücher