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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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genickt. Ihr Kind würde in zwei Tagen tot sein.
    Nathalie stellte den unförmigen Starbucks-Becher neben dem gerahmten Familienfoto ab. Im letzten Sommer auf Bornholm war noch alles in Ordnung gewesen. Peer war mit Lucy im Schlauchboot gepaddelt, gemeinsam hatten sie Sandburgen gebaut, waren mit flatternden Windjacken an der stürmischen Steilküste entlang gelaufen, im Kamin hatte das Feuer geknistert und nachts waren Peer und sie in dem schmalen Holzbett hinter der Tür nackt und engumschlungen nach innigem Sex eingeschlafen. Ihr Kiefer malmte. Alles, was Nathalie hier auf www.netdoktor.de über die Symptome von Hirnhautentzündung las, traf eigentlich mehr oder weniger auf Lucy zu. Taubheit, Epilepsie, ein Hydrozephalus oder kognitive Beeinträchtigung waren die entsetzlichen Folgeschäden. Nathalie musste ihr Kind sofort aus der Kita holen oder am besten gleich einen Krankenwagen vorbeischicken. Wenn sie doch nur Ivy erreicht hätte, um von ihr zu hören, dass sie eine gute Mutter war und das Richtige tat.
    Nach dem Frühstück war Peer bestens gelaunt ins Büro gefahren, als sei nichts passiert. »Bis heute Abend, mein Schatz!« Als gäbe es keinen Grund zur Sorge. Dann rief sie eben ihren Vater im Wendland an, um ihn über die Bedrohung in Kenntnis zu setzen. Bestimmt würde er in Ruhe überlegen, was zu tun war. Oder nein! Besser, sie verlor doch keine Zeit, alarmierte gleich den Notarzt und raste mit dem Rad hinüber zur Kita, um dort zeitgleich mit dem Rettungswagen einzutreffen. Und wenn Peer gegen Mittag versuchen würde, sie zu erreichen, würde seine Frau nicht ans Telefon gehen. Bis zum Abend nicht. Am besten, sie schaltete es gleich ganz aus. Er, der den ganzen Tag in seinem Büro mit bonbonlutschenden Sekretärinnen verbrachte und entspannte Plauderstündchen mit seinen Kollegen einschob, hatte ja keine Ahnung, was es bedeutete, von morgens bis abends herumzulaufen, um Besorgungen zu machen, zum Kinderarzt zu gehen, mit einem Haufen röchelnder und schniefender Kleinkinder im Wartezimmer zu sitzen, Wäsche zu waschen, zu kochen, aufzuräumen, sich mit den Kita-Eltern gut zu stellen, auf gesunde Ernährung zu achten, den Dauerauftrag für die Ballettschule einzurichten und Lucy so zu erziehen, dass sie später als junges Mädchen nicht behauptete, sie hätte die schrecklichste Kindheit aller Zeiten durchlitten. Peer war fein raus. Er hatte Spaß mit seinen Kollegen. Er konnte Karriere machen und mittags zu Starbucks gehen, Zeitung lesen und einen Truthahnbagel essen.
    Nathalie hasste es, eine Frau zu sein, und schaltete ihr Handy ab. Dann schaltete sie es wieder an und versuchte, noch einmal, Ivy zu erreichen, die gerade in der Hammersmith-&-City-Linie in die Station Baker Street einfuhr und von einem ignoranten Anzugtypen im Vorbeihasten auf den Fuß getreten wurde. Ivy konnte jetzt mit ihrer Schwester weder über die noch nicht angeschraubte Sicherheitskette noch über ihre mangelhafte Ernährung sprechen und erst recht nicht darüber, dass sie aus Sicherheitsgründen nur noch in Willems Begleitung das Madame-Tussauds-Gebäude verlassen sollte.
    Vom Strom der Herde ließ sich Ivy in die beigefarben gekachelte Station mit dem weinroten Sherlock-Holmes-Dekor schleusen. Sie lief die Rolltreppen hinauf, am Imbiss vorbei, in dem sich Willem täglich zwei kleine Tüten seiner Lieblingschips Hula Hoops – BBQ Beef und McCoy’s Sizzling King Prawn besorgte, die letzten Stufen hoch, auf die zugige Marylebone Road. Inzwischen regnete es richtig. Ein scharfer Wind ging, vor den Souvenirläden flatterten die I - ♥ - LONDON -T-Shirts unter durchsichtiger Plastikfolie. Die Postkartenständer waren zum Schutz vor der Nässe ins Innere der Shops gerollt worden. Ivy überquerte den Allsop Place und lief direkt auf das weiße Madame-Tussauds-Gebäude mit der hellgrünen Kupferkuppel zu. Obwohl sie nicht daran glaubte, ihn hier irgendwo zwischen all den Touristen zu entdecken, sah sie sich nach Desmond um. Sollte er sie wiedersehen wollen, blieb ihm nichts anderes übrig, als hier auf sie zu warten. Womöglich war es noch zu früh. Normalerweise fing Ivy erst eine Stunde später an zu arbeiten. Oder es regnete zu stark. Gegen halb zehn würde sie noch einmal nach unten auf die Straße gehen und sich gegenüber vom Haupteingang gut sichtbar neben den Hotdogstand stellen. Jetzt schlängelte sie sich zwischen den Besuchermassen hindurch zum Seiteneingang fürs Personal, vor dem Tony von der Security im roten

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