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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Scheibe vom Käse abschnitt, ohne Heidi dabei aus den Augen zu lassen.
    Walter räusperte sich. »Vielleicht wundert sie sich, dass jemand bei mir ist.«
    Nathalie trat dicht an das Fenster heran. »Wieso sollte sie sich wundern? Sie weiß doch, dass du zwei Töchter und ein Enkelkind hast. Soll ich ihr mal zuwinken?« Nathalie winkte Heidi heftig zu, die sofort vom Tisch aufstand und aus der Küche verschwand. »Und worüber redet ihr so, wenn ihr euch trefft?«
    Walter räusperte sich erneut, als könnte er so der Verhörsituation entfliehen. »Über alles Mögliche. Über den Garten. Über fällige Sanierungsmaßnahmen an Heidis Haus. Über das, was wir Interessantes in der Zeitung gelesen haben. Über unsere Enkel …«
    »Könntest du bitte nicht mit ihr über Lucy reden! Am besten redest du gar nicht von uns. Das wäre mir das Liebste. Du weißt genau, wie sie sich damals Mama gegenüber verhalten hat. Total arrogant. Mama hat darunter ziemlich gelitten.«
    Walter drehte sich wieder zu Lucy um und steckte ihr mit zittriger Hand ein Stück Käsebrot in den Mund. Die Erinnerung daran, wie sein Bruder heute Morgen am Telefon genüsslich durch den Hörer gebrummt hatte: »Es war klar, dass dieses Kuhkaff sie irgendwann umbringen würde«, schoss ihm durch den Kopf.
    Als hätte Hans ihm nach all den Jahren ein schlimmes Vergehen nachweisen wollen. Doch: Warum nur? Mit diesem einen Satz hatte er Walter einen Giftsamen mit lähmender Wirkung eingepflanzt, der ihn langsam von innen heraus außer Gefecht setzen würde. Aus heiterem Himmel, ganz ohne Anlass, hatte Hans das Gespräch auf Veronikas modernes Wesen gebracht. Dass sein Bruder die Vergangenheit mit einem Mal verzerrt und hässlich darstellte, konnte nur pure Berechnung sein. Aber mit welchem Ziel?
    Es gab doch nichts Ungeklärtes zwischen ihnen.
    Walter machte in Gedanken eine wegwerfende Bewegung, um die plötzliche Verunsicherung loszuwerden. Mit einem Mal schien seine Erinnerung an damals eine einzige Behauptung zu sein. Es gelang ihm einfach nicht, sosehr er sich jetzt auch bemühte, die verlässlich schönen Bilder von früher heraufzubeschwören. Bevor er seine Frau auch nur einigermaßen klar vor sich sah, verschwamm sie wieder in der Unendlichkeit der längst verstrichenen Jahre und löste sich schließlich in Luft auf. Stattdessen kamen wütend und bissig die gesäten Zweifel zurück und schlugen ihre Zähne in die unberührte Vergangenheit, damit diese augenblicklich von Walter auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft wurde.
    Wie sollte er das tun? Was vergangen war, war vergangen.
    Lucy schloss den Mund und sah ihren Großvater aus schläfrigen Augen an. Er war es doch nicht gewesen, der Veronika am Ende umgebracht hatte! Oder? Er würde die alten Fotoalben heraussuchen und sich die darin enthaltenen Bilder ansehen, zum Beweis, dass seine Frau lächelte. »Ich weiß gar nicht, was du hast. Sie war doch glücklich!« Bei diesem Einwurf hatte sein Bruder am Telefon gelacht. »Wach auf, Walter! Du hast dich einfach nicht darum geschert, ob es ihr gut ging.«
    Abends hatten Veronika und er einmal im Bett ein halbironisches Gespräch über Untreue geführt. Seine Frau hatte unglaubliche Geschichten aus der Gemeinde wiedergegeben. Er hatte gefragt: »Warum tun sich die Menschen das an?« Mehr aus Interesse oder Neugier, nicht, weil ihn dieses Thema tatsächlich betroffen hätte. Er war kein Mann, der betrogen wurde. Endlich sah Walter seine Frau wieder ganz deutlich vor sich. Ihr rotes langes Haar war ihr über die hellen Schultern gefallen, ihr sommersprossiges Gesicht hatte fröhlich ausgesehen. »Ich bitte dich!« Sie hatte ihren Kopf in seiner Armbeuge vergraben. »Ich bitte dich! Warum tun die Leute wohl so etwas?!«
    Was hieß denn das? Hatte sie letzten Endes verstanden und akzeptiert, dass sich Liebende gegenseitig betrogen? Veronika war doch gar nicht der Typ gewesen, der sich ernsthaft mit solchen zwischenmenschlichen Unaufrichtigkeiten beschäftigte. Mehr als ihre Familie hatte sie doch nicht gewollt. Hatte er sie hier in der Rundlingssiedlung von der restlichen Welt isoliert?
    »Wenn du dich schon an deinen Familienstammbaum setzt, dann solltest du sehr gründlich dabei vorgehen«, hatte Hans gesagt. »Ich bin alt. Lange kann ich dir nicht mehr bei der Rekonstruktion deiner ganz persönlichen Familiengeschichte helfen.«
    Walter würde das mit rotem Stoff bezogene Fotoalbum suchen. Sobald er es als Beweismittel vorliegen hatte, war alles gut.

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