Leichte Turbulenzen - Roman
Fingerspiele veranstaltete. Das konnte Peer wirklich vergessen, dass sie sich meldete. Endlich, endlich gehörte ihr der Triumph, das Gefühl, die Fäden in der Hand zu halten. Dieses wunderbar kostbare Gefühl wollte sie nicht wieder hergeben. Nein. Ihr Herz klopfte. Dies war das pulsierende Gefühl ihrer Jugend. Einen flüchtigen Moment meldete sich die zärtliche Liebe, die sie für ihren Mann empfand. Die Dankbarkeit, jemanden gefunden zu haben, mit dem man alt werden wollte, flackerte auf. Wenn Peer stolz darauf war, sie zur Frau zu haben, sollte er ihr das gefälligst zeigen. Und nicht nur, wenn er zu Hause war! Jetzt musste Peer leider erzogen werden.
Die vierte und fünfte Ansage waren nur das Klicken des Telefons, das aufgelegt wurde. Die sechste Ansage, eine Stunde später, machte nun ihr wiederum etwas Sorgen. »Nathalie, hier ist Peer. Gerade habe ich drüben bei Inga und Jens geklingelt, um zu fragen, ob sie euch heute gesehen haben. Sie haben mir gesagt, dass du dir ihren Kindersitz fürs Auto ausgeliehen hast. Was zum Teufel ist hier los? Ruf mich sofort an, oder ich verständige die Polizei. Ich hoffe wirklich, du hast eine gute Erklärung dafür, denn sonst haben wir ein ernsthaftes Problem. Dein Mann.«
Ach ja? Ein ernsthaftes Problem? Automatisch suchte Nathalie nach einer tränenrührigen Erklärung, die sie Peer auftischen konnte, vielleicht sollte sie die Sache mit der vermeintlichen Hirnhautentzündung etwas aufbauschen und ein Drama draus stricken. Im Grunde genommen kam ihr der hilflose Versuch, in der Klinik von fremden Menschen ein wenig Fürsorge abzugreifen, mit einem Mal wie die Tat einer Irrsinnigen vor. Ihre Hände wurden feucht. Es war, als wachte sie aus einem schlimmen Albtraum auf. Was machte sie hier eigentlich? Hatte sie den Verstand verloren? Mit zittrigen Fingern tippte sie Peers Nummer ein, wobei sie immer wieder die falschen Tasten erwischte. Gleichzeitig rief Lucy aus dem Auto nach ihr und patschte von innen gegen das Wagenfenster. »Mama, Mama!«
Walter stieß die Seitentür auf. »Wollen wir nicht langsam mal reingehen? Uns wird kalt hier draußen. Lucy und ich frieren, und wir haben Hunger. Komm, lass uns reingehen!«
»Mein Gott!« Nathalie stöhnte auf, »warum geht ihr nicht einfach vor? Es muss doch nicht alles von mir abhängen! Ich komme gleich nach.«
Die Tür wurde wieder zugezogen. Nathalies Herz pumpte. Konnten die Leute denn nicht einmal für sich allein Entscheidungen treffen? Vor lauter Anspannung gehorchten ihr die Finger nicht mehr, sie traf die Tasten nicht. Das war ein Albtraum, vermutlich würde sie Peer nie wieder erreichen, wahrscheinlich würde er wütend auf sie sein und ihr diese verzweifelte Aktion niemals verzeihen können. Er würde ihr nie wieder vertrauen. Nie wieder konnte er sicher sein, dass Nathalie mit Lucy fröhlich und glücklich zu Hause auf ihn wartete, wenn er heimkam. Wie sollte er entspannt und ruhig im Büro sitzen, mit der Angst im Nacken, dass seine Frau mit seinem Töchterchen kopflos im gemieteten Wagen über die Autobahn schoss?!
Nathalie wollte versuchen, sich besser im Griff zu haben, auch, um Lucy kein Trauma beizubringen. In sämtlichen Erziehungsratgebern wurde den Eltern nachdrücklich ans Herz gelegt, sich nicht vor den Kindern anzubrüllen oder mutwillig zu demütigen. Noch einmal probierte sie, Peers Nummer einzugeben, es war, als sei sie mit einem Schlag verblödet. Ihr Vater und Lucy stiegen aus dem Wagen, wobei Walter unaufhörlich auf Lucy einredete, wohl, um zu verhindern, dass Nathalie plötzlich anfing, in die friedliche Stille des Abends hinein zu schimpfen. Unschlüssig standen sie auf dem eisigen Hof herum, angeleuchtet von den drei Laternen, die zwischen den Bäumen gelblich strahlten. Lucy saß auf Opas Arm und schmiss sich ruckartig in ihrer Daunenjacke nach vorne, um den Arm ihrer Mutter zu fassen zu kriegen. »Mama, komm!«
Nathalie schrie. »Gleich, mein Hase! Gleich!«
Ihr Vater schüttelte den Kopf, hielt die wimmernde Lucy fest und ging mit ihr ins Haus. »Komm nach, wenn du dich beruhigt hast.«
Nathalie rieb sich über die Stirn und schlich, von sich tief enttäuscht, hinüber zum Brunnen, um sich dort auf den gemauerten Rand zu setzen und in aller Ruhe Peers Nummer einzugeben. Dieses Mal gelang es ihr. Sie atmete tief ein und aus. Die Bäume rauschten um sie herum, es war doch alles gut. Sie war zu Hause. Sie war doch da. In sich, bei sich. Es tutete an ihrem Ohr, dann endlich, als sie
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