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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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einen Arm im Halbkreis über den Kopf und den anderen Arm im Halbkreis auf Höhe seiner Brust hielt. Wie einer, der die Schönheit und Einzigartigkeit der Welt zwischen seinen Händen vermaß. Dieses Mal ging Ivy viel freier an ihre Arbeit heran. Noch hatte Vincents unmodelliertes Gesicht eine aschfahle, ungesunde Färbung. Doch sein inneres Pulsieren, sein unbändiges Wesen war schon deutlich zu spüren.
    Ivy war im Rausch. Willem hatte sich längst ins Wochenende verabschiedet, um sich auf seinen Angelausflug im Vicky Park vorzubereiten, und Chelsy war bereits am frühen Nachmittag gegangen. Nur Ivy mochte nicht nach Hause gehen. Diesen Abend wollte sie nicht auch wieder mit Eve verbringen, die vor einigen Wochen zu ihrer Überraschung von Frank verlassen worden war. Und zwar, wie er meinte, unwiderruflich. Mit all seinen Fachbüchern übers Filmedrehen war er in eine WG nahe der Artisan Bakery gezogen, wo er jetzt, zu Eves Entsetzen, mit zwei Ethnologiestudentinnen zusammenwohnte. Sie empfand das als »absolut schmerzhaft und unangebracht«, da sie sich unter gar keinen Umständen vorstellen wollte, wie ihr Mann mit den beiden Studentinnen morgens zusammen in der Küche frühstückte. »Cornflakes mit Orangensaft, oder was?« Die Trennung wäre für sie erträglicher gewesen, wenn Frank seinen Dozentenjob an der Uni verloren hätte und ein Stück weiter oben bei der Heilsarmee, neben dem Saints Tattoo Studio, in einem Dreibettzimmer untergekommen wäre. Und zwar unwiderruflich.
    Die ganze letzte Woche war Eve Abend für Abend die Treppe heraufgekommen und hatte so lange gegen Ivys Tür geklopft, bis sie ihr mit tiefgefrorenem Lächeln geöffnet hatte. »Hallo, Eve, ist was passiert?«
    Ihre Nachbarin war ausgerechnet immer dann erschienen, wenn Ivy gerade versuchte, Kontakt zu ABC in New York aufzunehmen, was absolut kein leichtes Unterfangen war. Im Grunde genommen war es unmöglich. Inzwischen kam es Ivy so vor, als handle es sich bei dem Fernsehsender um eine Art Briefkastenfirma. Denn jedes Mal, wenn sie in New York anrief, nahm die Empfangsdame Mrs. Hendson ab und gab vor, »Schwierigkeiten zu haben«, jemanden in der Personalabteilung zu erreichen. Und wurde Ivy wider Erwarten doch zu Mrs. Federline in der Personalabteilung durchgestellt, behauptete die, den Namen Desmond Gayle noch nie in ihrem Leben gehört zu haben. Daraufhin hatte Ivy ihr vorgestern Abend umgehend, nicht ohne Triumphgefühl, das Google-Foto mit der Topfpalme gemailt, unter dem eindeutig stand, dass dieser gut aussehende Mann als Komponist für die Serie All My Children tätig war. Das musste wohl als Beweis reichen. Tat es aber leider nicht.
    Mrs. Federline blieb hart.
    Ivy rieb sich die Augen.
    An der gegenüberliegenden Wand hingen Skizzen und vergrößerte Detailaufnahmen von Fotografien in Schichten übereinander, wie Blätter am Baum. Sie zeigten die Hände, Nasen, Ohren und Augen von Albert Einstein, Bill Clinton und Marie-Antoinette. Dazwischen pinnte ein Selbstporträt ihrer Nichte Lucy: ein grinsendes Strichmännchen mit riesiger Schleife im Haar.
    Gestern Abend war Eve hochgekommen, um auf der Bettkante sitzend die ganze schmerzhafte Geschichte rund um Frank und seine beiden Ethnologiestudentinnen noch einmal in allen Einzelheiten aufzurollen. »Ich glaube, mit der einen hat er was, obwohl die einen Freund hat. Diese jungen Dinger werfen sich jedem Mann an den Hals, um ihren aktuellen Marktwert auszuloten. Verheirateten Männern! Ich überlege schon, ob ich da mal vorbeigehen soll.«
    »Aber«, gab Ivy zu bedenken, »vielleicht solltest du dir erst mal überlegen, ob du überhaupt noch mit Frank zusammen sein möchtest.«
    »Natürlich!«, sagte Eve. »Ich liebe Frank. Er ist der Vater meiner Kinder. Sollen meine Jungs ohne ihn aufwachsen? Sie brauchen doch einen Mann in ihrem Leben, an dem sie sich orientieren können. Mich nehmen sie als Autorität doch gar nicht ernst. Das sehe ich ja an meinen Schülern im Unterricht. Die Jungs, die von ihren Müttern aufgezogen werden, haben jetzt schon verloren.«
    Ivy hatte sich, mit dem Telefon am Ohr, gefragt, warum Eve sich all diese Gedanken nicht ein wenig früher gemacht hatte. Mit Frank war es offenbar nicht schlechter als ohne. Der Ärger schien für Eve derselbe geblieben zu sein.
    Eve wischte sich mit dem Pulliärmel über die Augen. »Heute Nachmittag ruft er mich an und fragt mich gut gelaunt, wie es seinen beiden Jungs geht. Und kaum hab ich berichtet, dass es Probleme in

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