Leichte Turbulenzen - Roman
Hause.«
»Peer, ich …« In Natalies Kopf rauschte es. »Ich brauch jetzt mein altes Zuhause um mich herum. Den Wald. Die Felder. Die Luft. Es tut mir leid, ich hab das Gefühl, ich muss mich erden.«
»Dann bleibt, wo ihr seid. Und am Wochenende komme ich zu euch.«
»Danke.«
Nathalie legte auf und umklammerte mit beiden Händen ihr heiß telefoniertes Handy im Schoß, die Beine übergeschlagen von sich gestreckt. Sie weinte, ihre Unterlippe hing herunter, damit sie einigermaßen Luft bekam. Sie seufzte tief. Ein und aus. Zur Hölle mit der ganzen Emanzipation! Dieses ganze dualistische Denken! Dieser ganze Sermon von Mann und Frau. Sie waren doch längst ein Ganzes. Yin und Yang. Im Grunde genommen waren diese ganzen frontenbildenden Sichtweisen, die sie sich in der Jugend mit Simone de Beauvoir angelesen hatte, ein einziges intellektuelles, konzeptionelles Verbrechen, das ausschließlich mit Abtrennung, Gut und Böse, Hass, Minderwertigkeitsgefühlen und Opfertum operierte. Sie seufzte und schluchzte. Und irgendwo, in den Wipfeln der Kiefern, die hinter der Scheune standen, rief ein Käuzchen. Sie würden es schaffen. Peer und sie. Scheiß auf Mann und Frau. Egal, dass ihre Mutter ihr früher erzählt hatte, dass man sich vor dem anderen Geschlecht in Acht nehmen musste, wollte man sich nicht vom Mann zerstören lassen. Diese Warnung musste noch lange nicht auf sie zutreffen. Ein kleiner Funke Vertrauen glomm in ihr. Und ein ganz feiner Funke Hoffnung.
Nur: Von wem bekam Peer diese abendlichen SMS ?
Für wen hatte er bei Starbucks den zweiten Caffè Mocha gekauft?
Nathalie trat über die holzwurmzerfressene Schwelle, hinein in die kühle, mit roten Backsteinen gepflasterte Diele. Am Ende des hohen, lang gestreckten Raumes standen ihre Reisetaschen neben dem Webstuhl ihrer Mutter. Über ihr im Gebälk flatterten die Tauben. Hinter der Treppe, die ins Obergeschoss führte, öffnete sie die niedrige Holztür und verschwand in der Wohnstube.
Ihr Vater saß mit Lucy am Tisch, auf dem eine Stumpenkerze aus Bienenwachs flackerte, und fütterte seine Enkelin mit dem in Würfel geschnittenen Käsebrot. Im Kamin hatte er Feuer gemacht, auf dessen Sims verkrumpelte Bauernhoftiere aus Ton standen, die Ivy und sie als kleine Mädchen im Sommerurlaub in Findhorn unter Anleitung von langhaarigen Männern mit Bärten getöpfert hatten, während ihre Mutter ein Stück weiter oben, zwischen den Bäumen im Blue-Angel-Café gemeinsam mit den Anwohnerinnen selbstgebackene Kuchen und Quiches an die Touristen verkauft hatte, als sei das ein Lebenszweck. Nie würde Nathalie ihre Tochter mit der unausgegorenen New-Age-Philosophie belasten. Wie bewusst weltfremd die Menschen dort oben in Schottland gewesen waren, im verzweifelten Versuch, ihrer inneren Freiheit ein Stück näher zu kommen. Lucy machte brav den Mund weit auf und kaute anschließend ordentlich. Walter sah müde aus, aber er lächelte. »Wenn du Lucy das Brot klein schneidest, dann isst sie ganz prima.«
»Aha.«
»Das macht sie richtig gut. Letztes Mal, als ihr hier wart, war das mit dem Essen ja noch ein schwieriges Unterfangen. Jetzt hab ich sie aber so weit, dass sie ganz brav am Tisch sitzen bleibt.«
Nathalie biss die Zähne zusammen. Es war nur schwer auszuhalten, wenn ihr Vater sich als Erziehungsprofi aufspielte. So, als müsse er irgendwelche erzieherischen Versäumnisse ihrerseits wieder ausbügeln. Hielt Walter sie für eine schlechte Mutter? Lucy blickte ihrer Mutter kauend nach, die mit mürrischem Gesichtsausdruck hinter den Tresen der offenen Küche getreten war. Durch die Butzenfenster sah Nathalie direkt hinüber in die Nachbarküche, in der Heidi am Tisch saß und verwundert zu ihr herüberblickte. Nathalie zog den Reißverschluss ihrer Fleecejacke ganz nach oben, als müsste sie sich rüsten. »Verständigt ihr euch nachts mit Taschenlampensignalen?«
»Bitte?« Walter hob den Kopf an.
»Heidi und du!« Nathalie machte eine abschätzige Bewegung mit dem Kinn. »Sie starrt so zu uns rüber, als erwarte sie ein geheimes Morsezeichen von dir. Hat sie etwas dagegen, dass ich hier bin? Soll ich das Licht an- und ausschalten, um sie zu beruhigen? Wollte sie nachher noch auf ein Schäferstündchen zu dir kommen?«
Ohne den Blick von ihrer Mutter zu wenden, sperrte Lucy den Mund auf, damit Walter ihr ein weiteres Brotstück hineinschob. Doch er hatte sich halb zu seiner Tochter umgewandt, die sich in der Küche mit dem Brotmesser eine dicke
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