Leichte Turbulenzen - Roman
es schon nicht mehr erwartete, nahm ihr geliebter Peer ab. »Nathalie, wo zum Teufel seid ihr?«
Sie kam sich richtig schäbig vor. »Bei meinem Vater.«
»Bei deinem Vater?« Peer gab sich alle Mühe, seine Stimme ruhig zu halten. »Wieso bei deinem Vater? Ist etwas passiert? Geht es Walter nicht gut? Was ist los?«
»Doch.« Nathalie räusperte sich, ihr Mund war ganz trocken. Gott, sie hätte direkt losheulen können. Sie wollte doch vernünftig sein. Einfach nur heulen, bis all die bodenlose Hilflosigkeit weggeheult war. Hoffentlich war bald übermorgen, dann würde all das Düstere, Bedrohliche, alles Verschlingende vorbei sein. Dann würde sie wieder klar im Kopf und eine gute Ehefrau und Mutter sein. »Doch, ihm geht es gut«, flüsterte sie. »Nur mir ging es nicht so gut.«
»Wieso denn? Was war denn los?«
»Ich hab mich so verlassen gefühlt.« Plötzlich kam ihr dieser Satz wie eine Behauptung vor.
»Von mir?«
»Ja, auch.« Und in diesem Moment fühlte sich ihr Selbstmitleid wie eine einzige Lüge an, wie ein selbst gemachtes Drama, von dem sie nicht einmal den Sinn und Zweck kannte, außer, dass sie nun realisierte, wie weit sie sich von Peer wegbewegt hatte. Sie war es, die hier zerstörte. Und trotz dieser Einsicht konnte sie nicht mehr aufhören. Sie brauchte eine Rechtfertigung für ihren Wahnsinn.
»Und von wem noch?« Peer setzte alles daran, ruhig zu klingen. »Gab’s Ärger mit Ivy?«
»Nein.« Nathalie kickte mit der Fußspitze einen Kiesel weg. »Die dumme Nuss hab ich auch nicht erreicht. Ich hab niemanden erreicht, nicht mal meinen Vater. Der war drüben bei der Nachbarin und hat mit ihren beiden Enkelkindern gespielt. Stell dir vor! Den ganzen Tag lang! Ich war so allein. Und als ich drüben mit Inga reden wollte, musste sie die Große zum Geigenunterricht bringen, und der Kleine hatte wieder Mittelohrentzündung und … Ich glaube, ich wollte nur, dass mich jemand hört, mich jemand sieht und mit mir spricht.« Es war beschämend, wie kindisch all das klang. Als sei sie fünf Jahre alt.
»Aber das tue ich doch alles.« Und Peers Stimmlage erinnerte an die ihres einfühlsamen Lebenscoachs. »Oder nicht?«
Jetzt war sie gefangen. In ihrer Rolle der Schwachen, die den Boden unter den Füßen verloren hatte. Da kam sie nicht so einfach wieder raus. Sie stand ja nun schon auf dem Hof ihres Vaters. Auch dafür brauchte es eine Rechtfertigung. Also sagte sie das, was gerade schon wieder nicht mehr ganz so dringlich war, da Peer sich ja nun um sie bemühte. »Irgendwie hab ich das Gefühl, das Leben geht an mir vorbei. Alle arbeiten, kommen unter Leute, reden mit Freunden, ziehen sich hübsch an, werden nach ihrer Meinung gefragt, nur ich kümmere mich um den Haushalt, dass Lucy etwas zu essen bekommt, bastelt und regelmäßig zum Ballett geht. Aber trotzdem ist es irgendwie so, als gäbe es mich gar nicht.« Und plötzlich klang alles wieder ganz und gar schlüssig, und die alte Verzweiflung gewann erneut die Oberhand, was in Nathalie für enorme Erleichterung sorgte. »Am liebsten würde ich gerade sterben. Ich hab das Gefühl, alles ist unrettbar verloren. Als wäre alles zum Scheitern verurteilt, als würde nichts weitergehen. Als würde jeder Versuch, etwas aufzubauen, es zu erhalten, es wachsen zu lassen, zum Scheitern verdammt sein.«
Peers Stimme klang nun besonders einfühlsam. »Schatz, was ist denn nur los mit dir? Wir haben uns doch! Uns kann nichts passieren. Hab doch Vertrauen.«
»Aber«, Nathalie stand vom Rand des Brunnens auf, lief ein paar Schritte über den Hof, setzte sich wieder hin. »Aber meine Mutter, sogar meine Mutter, hat es auf der Welt nicht mehr ausgehalten. Wenn sie es schon nicht geschafft hat, durchzuhalten, wie soll ich es dann schaffen?«
»Wir schaffen es gemeinsam. Du und ich. Wir sorgen dafür, dass unsere kleine Familie im Sturm überlebt.«
Jetzt ließ sich Nathalie mit Schwung in die Ausweglosigkeit fallen, aus Neugier, ob sie auch Peer zum Einknicken brachte. »Wie denn? Wenn ich kein Vertrauen habe? Meine Mutter ist einfach so gegangen. Und du wirst auch einfach gehen.«
Sie blieb stehen und lauschte.
»Wir finden dein Vertrauen wieder. Irgendwo muss es ja stecken, sonst hättest du mich nicht geheiratet.« Peer lachte.
Und Nathalie lachte und weinte und flüsterte: »Ich liebe dich, Peer. Ich liebe dich so sehr. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr ich dich liebe.«
»Ich liebe dich doch auch, mein Schatz. Kommt schnell wieder nach
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