Leichte Turbulenzen - Roman
wünschte, ich würde es schaffen, mal ein bisschen gelassener zu bleiben. Ich nehme es mir täglich von Neuem vor, aber dann passiert irgendetwas, und ich schaffe es nicht, mich zu zügeln, weil ich denke, dass ich jetzt auch mal ein Recht aufs Ausflippen habe.«
Ivy lächelte. Ja, da hatte sich Nathalie gut selbst erkannt. Und dafür liebte sie ihre Schwester. Für ihre Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber.
Nathalie seufzte. »Ivylein, ich verstehe trotzdem nicht, wie alles von einem auf den anderen Tag so aus den Fugen geraten konnte. Peer und ich lieben uns doch.« Plötzlich fing sie an zu weinen. »Ivy, ich hab so eine Angst, ihn zu verlieren. Ich will keine schreckliche Ehefrau sein, die ihren Mann vertreibt.« Nathalie hupte. »Fahr endlich, du Trantüte!«
Es war so schwer herauszuhören, ob Nathalie sich etwas einbildete oder ob es tatsächlich Grund zur Beunruhigung gab. Ivy entschloss sich, vom Guten auszugehen. »Natti, glaub mir, Peer betrügt dich nicht.«
»Das dachte ich ja auch. Aber dann hab ich diese SMS von ihm an Jenny gefunden und den Kassenzettel vom Starbucks mit zwei Caffè Mocha, ich weiß doch auch nicht …« Nathalie schluchzte auf. »Wann kommst du denn?«
Ivys Zimmer wurde jetzt von rotem, dickflüssigem Licht geflutet. Draußen verdrängte die Sonne grell und glühend die Regenwolken und stand nun über den Dächern Notting Hills, als wollte sie allen Niederschlag mit einem Mal zum Verdampfen bringen. Ivy trat ganz dicht an den Spiegel heran, sodass das Glas von ihrem Atem beschlug. Sie ließ ihre Stimme sanft klingen. Sanft und heimelig. »Ich versuche, gleich für morgen früh einen Flug zu bekommen. Wirklich. Soll ich mal mit Peer sprechen?«
»Würdest du das tun?!« Nathalie schniefte dankbar.
»Ja, mein liebstes Nattilein. Das mache ich.« Das einfallende Licht legte sich weich und dunkelgolden über Ivys dem Fenster zugewandte Gesichtshälfte. »Und ich melde mich, sobald ich weiß, wann ich lande. Und versuch, ruhig zu bleiben. Das ist gerade alles ein bisschen viel für dich. War Papa schon da?«
»Ja, mit ihm wollte ich aber nicht über diese Geschichte mit Peer reden. Er ist sowieso schon in so einer seltsamen Verfassung. Die einzige Sache, die ihn momentan beschäftigt, ist, ob Mama damals viel gelacht hat oder wenig. Und wo das rote Fotoalbum ist. Hast du es nicht doch zufällig, Ivy? Er braucht es als Beweisstück, dass er Mama fotografiert hat.«
»Hat er doch gar nicht. Immer nur Tante Agnes. Erinnerst du dich noch? Wie wir alle immer zu ihm gesagt haben, er soll auch mal Mama fotografieren? Aber irgendwie war hinterher verlässlich die behäbige Tante Agnes in ihren geblümten Kittelkleidern drauf.«
»Trotzdem wäre ich froh, wenn das Album wieder auftauchen würde. Dann hätte er irgendetwas in der Hand, an dem er sich festhalten kann. Inzwischen hat er das komplette Haus auf den Kopf gestellt, nur um diese Fotos zu finden. Ich befürchte, er kommt nicht eher zur Ruhe, bevor er das Album nicht durchblättern kann.«
»Aber warum ist das denn so wichtig?«
»Aus irgendeinem Grund glaubt er plötzlich, dass Mama nicht mehr die ländliche Idylle ausgehalten hat. Irgendwie hat er die fixe Idee, nicht gemerkt zu haben, dass sie eigentlich lieber ganz woanders hätte leben wollen. Jetzt gibt er sich die Schuld an ihrem Tod, weil er meint, dass er das Unglück hätte verhindern können, wenn er aufmerksamer gewesen wäre. Keine Ahnung, wie er daraufkommt.« Nathalie machte eine kleine Pause, dann fragte sie: »Sag mal, kannst du dich eigentlich noch an Tamara von nebenan erinnern?«
»Ja, wieso? Was ist mit ihr?«
»In letzter Zeit war sie öfter mal da, um ihre Mutter zu besuchen. Inzwischen hat sie zwei Kinder. Ich hab nicht viel mit ihr geredet, nur, was sie jetzt so macht und dass Heidi und Papa sich gut verstehen und wohl viel gemeinsam unternehmen. Na ja, und sie meinte, ihr Vater, du weißt schon, Heiner, hätte ihr kurz vor seinem Tod noch so einiges erzählt.«
»Aha. Warum kommt sie damit ausgerechnet zu dir? Ich dachte …«
»Keine Ahnung. Vielleicht wollte sie nur plaudern.«
»Über das, was Heiner ihr kurz vor seinem Tod gesagt hat? Findest du das nicht ein bisschen merkwürdig?«
»Ach …« Mit einem Mal klang Nathalie betont fröhlich. »Ich glaube, sie wollte nur mal unsere alte Fehde beilegen.« Da Ivy nichts sagte, fuhr sie fort. »Und? Wie ist dein van Gogh gelungen?«
Bevor Ivy überhaupt klar war, was sie da ihrer Schwester
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