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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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antat, sprach sie es auch schon aus. »Natti! Er ist irgendwie richtig schön geworden. Ich hab mich glatt ein bisschen in ihn verliebt – würde ich sagen.«
    »Verliebt?« Das Motorengeräusch erstarb. Die Handbremse wurde hörbar angezogen.
    »Na ja, irgendwie …«, Ivy wand sich. Vor Nathalie war es keine gute Idee, sich selbst zu loben. Und doch wollte sie ihre Begeisterung über die gelungene Skulptur nicht einfach so zurücknehmen. Also fuhr sie fort: »Als ich ihm gestern die Augen eingesetzt habe, kam es mir plötzlich so vor, als könnte er in mich hineinsehen. Kurz hatte ich sogar den Eindruck, seine Lippen würden sich bewegen und ›Ich weiß, wie du dich fühlst‹ oder so etwas in der Art zu mir sagen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich so lange an ihm gearbeitet habe und jede Wölbung seines Körpers so genau kenne und …« Ivy lachte. »Im Grunde genommen könnte ich behaupten, seit Langem ist mir kein Mann mehr so nahe gekommen. Verstehst du, was ich meine?«
    Nathalie räusperte sich. »Entschuldige, ich muss jetzt mal aussteigen und zu Lucy reingehen. Mein süßes Würmchen wartet bestimmt schon auf mich. Ich freu mich, wenn du endlich hier bist. Guten Flug, Ivy! Bis morgen!«
    »Bis morgen!« Ivy legte auf, schaltete den Ton ihres Handys ab und warf es hinüber aufs zerwühlte Bett. Langsam wurde es einmal Zeit, dass Nathalie damit klar kam, wenn Ivy ihr von ihrer gelungenen Arbeit berichtete. Was brachte es denn, die eigene Freude nicht offen zu zeigen, sondern ständig so zu tun, als sei alles immer nur schwierig oder mittelmäßig? Eigentlich, das merkte Ivy jetzt, wünschte sie sich am meisten, dass Nathalie und sie sich irgendwann mal wieder gemeinsam freuten. Über irgendetwas. Und wenn es nur die Tatsache war, dass Ivy erneut in einen Kaugummi getreten war. Von ihrem Platz am Spiegel aus sah sie, wie das Handydisplay bläulich aufleuchtete, erlosch und wieder aufleuchtete. Nathalie war noch einmal dran. Es hatte doch eigentlich nur ein kleiner Schwatz sein sollen. Mehr nicht.
    Draußen stiegen watteartige Dunstschwaden in der Hitze des Nachmittags vom Boden auf, so als sei ganz Notting Hill bis auf Brusthöhe mit Weichzeichner überzogen. Gleichzeitig fiel von oben zögerlicher Nieselregen. Unten im Haus hörte sie Eve mit ihren beiden Jungs, begleitet von Spacepistolen-Geräuschen, die Treppe heraufkommen und in ihrer Wohnung verschwinden. Ivy überlegte, zur Artisan Bakery zu flüchten, um dort in Sicherheit einen Cappuccino mit Pain au raisin zu sich zu nehmen. Dorthin würde sich Eve erst einmal nicht mehr verirren, zu groß war die berechtigte Furcht, auf einen relaxten Frank und seine beiden Studentinnen zu treffen. Ivys Magen knurrte. Sie hätte sich in den flirrenden Strom hineingleiten lassen können. Draußen auf der Portobello Road saßen die Leute an wackligen Tischen vor den Cafés oder kauften im Ein-Pfund-Shop bunte Plastikaccessoires für Ostern ein. Ecke Lonsdayle Road spielten die Touristen die berühmte Filmszene zwischen Julia Roberts und Hugh Grand nach. Sie kippten sich, mit den entsprechenden Pappmasken getarnt, Orangensaft über die T-Shirts und ließen sich dabei von Studenten zur Erinnerung fotografieren. Und hier stand sie, Ivy, fernab von jeglicher Zivilisation.
    Es klopfte. »Ivy, ich weiß, ich nerve. Kannst du mir trotzdem kurz eine Frage beantworten?«
    Ivy rührte sich nicht. Sie lauschte mit angehaltenem Atem. Die arme Eve klopfte erneut und rüttelte am Türknauf. »Ivy! Bitte! Ich hab nur eine kurze Frage! Ich brauche nur mal eben deine Einschätzung!«
    So gerne Ivy Eve ein bisschen Erleichterung verschafft hätte, es passte jetzt wirklich nicht. Sie musste dringend ihren Flug buchen und sich ernsthaft davon überzeugen, dass hier nicht doch irgendwo das alte Fotoalbum herumlag, nach dem ihr Vater so beharrlich suchte. Sie hörte, wie Eve schließlich die Treppe wieder nach unten trottete und ihre Wohnungstür ins Schloss fiel.
    Auf Zehenspitzen und mit minimalsten Bewegungen machte Ivy sich daran, ihren Flug zu buchen und anschließend das Regal, die Kommode, sämtliche Ablagen und die Schreibtischschublade nach dem Album zu durchforsten. Sogar unter dem Bett hinter den übereinandergestapelten Zeichenmappen sah sie nach. Als sie schließlich mit Staubmäusen in den Haaren triumphierend das mit rotem Stoff eingeschlagene Album in der Hand hielt, schwappte eine warme Welle der kindlichen Freude über sie. Doch bevor sich Ivy damit auf die

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