Leichte Turbulenzen - Roman
entschuldige mal eben …« Jetzt schien sich Nathalie mit jemand anderem zu unterhalten. Ivy hörte eine zweite Frauenstimme. Es ging ein bisschen zwischen Nathalie und der Frauenstimme hin und her, bis ihre Schwester wieder in den Hörer sprach. »Entschuldige. Ich bin gerade bei Dunkin’ Donuts, ich will Lucy eines von diesen rosa Teilen mitbringen. Sag mal, hast du einen Flug gebucht? Bitte, Ivy. Ich brauche dich hier. Wenn du es genau wissen willst, weiß ich gerade nicht, wo mir der Kopf steht.« Nathalie klang seit Langem mal nicht rigoros, sondern tatsächlich überfordert.
»Ich …« Ivy holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Dabei sah sie hinunter auf ihren Bauch, der sich unter ihrem grauen Schlaf-T-Shirt sanft wölbte. Jetzt bestand die einmalige Gelegenheit, ihre Schwester anzulügen. Um der zu erwartenden Enttäuschung auszuweichen, konnte Ivy einfach behaupten, sie habe sich längst einen Flug gebucht. Barfuß stand sie auf dem gestreiften Läufer, hielt sich das Telefon ans Ohr und bekam doch nur die Wahrheit heraus. »Tut mir leid, Natti. Ich hab’s noch nicht geschafft. Ich kümmere mich aber gleich darum. Ich musste gestern erst noch van Gogh fertig machen.«
»Okay, aber kannst du bitte jetzt gleich einen Flug buchen? Ich brauche deinen Zuspruch. Und Lucy auch. Sie fragt die ganze Zeit nach dir.« Eine Wagentür schlug zu.
»Mach ich wirklich gleich, ich musste, wie gesagt, noch van Gogh fertig machen.«
»Ja, aber jetzt ist er ja fertig.« Im Hintergrund ließ Nathalie den Motor an.
Seit der frühesten Kindheit war es so, dass Nathalie Ivy herumkommandierte. Das merkte sie gar nicht. Es brachte also überhaupt nichts, es persönlich zu nehmen oder sich dieser Art zu widersetzen. So war Nathalie eben. Punktum. Also entschied sich Ivy, wie immer, darüber hinwegzuhören. »Und wo ist Peer?«
»Den musste ich gerade rätselhafterweise im Büro absetzen, weil er meint, er müsse noch ein wichtiges Projekt aufs Gleis setzen. Am Samstagnachmittag! Ich würde ihm das natürlich gerne glauben, aber …« Es knackte in der Leitung. Nathalies Stimme kam von weit her, als hätte sie das Telefon auf den Beifahrersitz gelegt. »Es sind leider einige, mich verunsichernde Details aus seinem Vorleben ans Licht gekommen, die er mir aus unerfindlichen Gründen verschwiegen hatte.« Jetzt kam ihre Stimme wieder näher heran. »Entschuldige, ich musste mir eben den Hörer ins Ohr stecken. Wie auch immer. Peer weigert sich, dazu Stellung zu nehmen, da er meint, dass ich aus einer Mücke einen Elefanten mache und er sich meinen Unterstellungen nicht aussetzen möchte.«
»Was denn für Details aus der Vergangenheit?« Ivy trat an den schmalen Spiegel heran, der zwischen Badezimmertür und Schrank hing, um zu überprüfen, ob sie aufgrund des Schlafmangels wieder dunkle Augenringe hatte.
»Was die Intensität seiner Beziehung zu dieser Jenny anbelangt. Du weißt schon, die er damals für mich verlassen hat. Offenbar war er mehrere Jahre mit ihr zusammen. Wogegen ich ja gar nichts habe, ich verstehe nur nicht, warum er damals so getan hat, als würde er sie kaum kennen.«
»Vielleicht wollte er nicht, dass du die Sache überbewertest.«
»Ja, aber ich hatte doch auch schon Beziehungen vor ihm. So ist das nun mal in unserem Alter. Das kann man sich doch erzählen, und dann ist es gut. Ich verstehe diese Geheimnistuerei nicht. Da frage ich mich automatisch, was er mir noch verheimlicht. Verstehst du? Ivy, im Moment zweifle ich regelrecht an der Welt, wenn du es genau wissen willst. Unter diesen Umständen finde ich es sehr schwierig, mich voll auf Lucy zu konzentrieren.«
»Ich bin mir sicher, du kannst Peer vertrauen. Wirklich.« Ivy starrte direkt in ihre flaschengrünen Augen. »Er liebt dich doch. Bestimmt wollte er dir einfach nur das Gefühl vermitteln, dass es noch nie in seinem Leben eine Frau wie dich gegeben hat.«
»Das kann ja alles sein. Aber wer weiß, was er sonst noch so treibt, weil es für ihn am Ende auch keine Bedeutung hat. Weißt du, was ich meine?«
»Vielleicht fühlt ihr euch beide gerade ein bisschen überfordert.«
»Ich würde das durchaus als handfeste Krise bezeichnen. Neulich habe ich im Affekt meinen Ehering raus in den Hinterhof zu den Müllkontainern geworfen und hinterher nicht mehr wiedergefunden. Er ist weg! Ich habe vier Stunden lang in Mülltüten herumgewühlt.«
»Warum das denn?«
»Aus Reflex. Oder Wut. Nenn es, wie du willst. Du kennst mich doch. Ich
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