Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
Vom Netzwerk:
wollen Sie von uns?«, fragte Melissa, die sich bereits ihr Kleid übergestreift hatte. Ihre Strümpfe hielt sie zu einem Knäuel zerdrückt in der Hand, die Strumpfhalter lagen im Fußraum vor der Rückbank auf dem Boden. Melissas Lippenstift war total verschmiert, sie sah hinreißend aus in dem Moment, dachte Dresen.
    »Los, du Schlampe, komm endlich da raus!«, sagte der Fremde ungeduldig, ging um den Wagen herum und hielt ihr das Gewehr nun direkt unter die Nase.
    »Wollen Sie Geld?«, fragte Dresen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dabei streckte er seine Brieftasche, die er hastig aus der Gesäßtasche seiner Hose hervorgeholt hatte, in die Höhe und wedelte damit im Takt der Musik ein paar Mal hin und her.
    |140| »Halt’s Maul, Arschloch!«, rief der Fremde und trat Melissa im selben Moment mit voller Wucht gegen das Schienbein, sodass sie aufheulte wie eine Katze in der Nacht.
    »Scheißkerl!«, schrie sie. »Du verdammter Scheißkerl!«
    Der Typ, dessen Gesicht Dresen von seiner Position aus immer noch nicht sehen konnte, trug, so viel war im Streulicht seiner Taschenlampe zu erkennen, Cowboystiefel, ein graues T-Shirt und abgewetzte Jeans.
    Als Dresen auf seiner Seite aus dem Wagen stieg, sah er die Mütze, die der Typ sich übers Gesicht gezogen hatte. Eine dunkle Mütze, wie sie Bankräuber benutzten, mit Löchern für die Augen.
    Ein paar Mal leuchtete er Dresen mit der Taschenlampe über das Wagendach hinweg ins Gesicht. Dann kam er auf die andere Seite, schnaubte: »Hier, Arschloch, na los!«, und warf Dresen einen Spaten vor die Füße. Anschließend deutete er mit der Flinte den Schotterweg hinunter, wo sich in etwa einem Kilometer Entfernung der Fluss befand, und sagte: »Da lang! Alle beide!«
    Unbeholfen zog Melissa sich den zweiten Pumps an. »Was soll’n das werden? Vielleicht ’ne Art Entführung oder so was?« Doch bevor sie losliefen, wandte der Typ sich noch mal dem Wagen zu und feuerte zwei, drei Salven auf das Armaturenbrett ab, worauf die letzten Takte eines Coldplay-Songs jäh erstarben.
    Dresen spürte jeden einzelnen Schuss als Erschütterung in seinem Inneren, spürte, wie jeder einzelne Knall sein Rückgrat hinaufkroch bis in seinen Schädel.
    |141| Auch Melissa schien beeindruckt von der Entschlossenheit des Maskierten. Plötzlich war sie bemüht wie eine eifrige Schülerin.
    »Was sollte denn das?«, rief Dresen. Doch der Fremde ruckte nur kurz mir seinem Gewehr und erwiderte trocken: »Maul halten, Arschloch!«
    Während sie den Schotterweg entlangliefen, überlegte Dresen krampfhaft, wie sie den Typen loswerden konnten. Vielleicht konnte er ihm in einem günstigen Moment einen Schlag mit dem Spaten versetzen. Doch in seinem Hirn herrschte totales Chaos, er konnte einfach keinen klaren Gedanken fassen. Außerdem spürte er immerzu den Lauf der Flinte im Rücken.
    Wortlos stolperten sie durch den Wald. Bis der Typ irgendwann sagte: »Da vorne rechts rein!« Dabei leuchtete er mit der Taschenlampe auf eine Schonung, die sich in dem Lichtstrahl erahnen ließ. Dunkle, in Reih und Glied stehende, gerade einmal mannshohe Edeltannen erschienen im Lichtkegel. Dazwischen zwei, drei haushohe Fichten oder so was.
    »Das ist doch alles Scheiße hier, verdammt noch mal!«, fluchte Melissa, die offenbar den Absatz ihres rechten Pumps verloren hatte und den Schuh vor Wut seitlich ins Gebüsch kickte.
    »Halt’s Maul, Schlampe!«, schnaubte der Typ.
    Als sie die Schonung erreicht hatten und ein paar Schritte ins Unterholz vorgedrungen waren, stieß der Typ Dresen mit der Flinte plötzlich zu Boden, trat ihm den Stiel des Spatens gegen die Brust und sagte: »Graben, na los!«
    »Was?«, erwiderte Dresen und angelte zögerlich |142| nach dem neben ihm auf dem Boden liegenden Spaten.
    »Wird’s bald? Oder soll ich nachhelfen?«, zischte der Typ und drückte Dresen die Flinte gegen die Wange. Da griff Dresen den Spaten, rappelte sich auf und stieß das Ding zunächst ein paar Mal kraftlos in die trockene Erde. Doch als der Typ ihm den Lauf der Flinte unsanft an den Hinterkopf drückte, legte er sich schließlich ins Zeug. Und bereits nach ein paar Minuten brach ihm der Schweiß aus und lief ihm aus den Brauen direkt in die Augen, was höllisch brannte.
    Plötzlich kam Wind auf, eine Böe fuhr als kurzes heftiges Ziehen durch die Baumkronen. Und dann war es, als gerate alles ins Wanken, denn ein, zwei heftige Stöße im Erdinnern ließen sekundenlang die Dinge aus ihren Konturen

Weitere Kostenlose Bücher