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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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unterwegs, das Taxometer zeigte einen Fahrpreis von 42,60 an. Daraufhin zog Hagedorn, der das bemerkt hatte, einen weiteren Schein aus seiner Brieftasche. »Hier!«, sagte er, rutschte auf seinem Sitz nach vorn und legte den Schein auf den Beifahrersitz neben die Zigaretten.
    »Machen Sie so etwas öfter?«, wollte die Fahrerin wissen, die höchstens Ende zwanzig sein mochte. Im Rückspiegel ruhte ihr Blick auf ihm.
    »Was meinen Sie?«
    »Nachts mit dem Taxi durch die Gegend fahren.«
    »Nein. Sie?«
    »Sie meinen so wie mit Ihnen?«
    »Ja.«
    »Nein.«
    »Und wie ist das jetzt für Sie?«
    »Auf jeden Fall angenehmer als dieser dauernde Wechsel. Sie haben ja keine Ahnung, was einem in einer einzigen Nacht für Typen begegnen können.«
    »Sie meinen so Typen wie mich«, sagte Hagedorn und schälte sich umständlich aus seinem Mantel. »Das wollen Sie doch sagen, nicht wahr?«
    »Nein«, widersprach die Fahrerin und lenkte den |150| Wagen durch eine Unterführung. In regelmäßigen Abständen wischten an der Seite die bläulichen Tunnellichter vorbei.
    »Solche Typen eben«, setzte sie erneut an. »Na, Sie wissen schon. Aus dem Milieu eben, hin und wieder mal ’n Freier, Nachtvolk eben.« Kurz darauf setzte sie mit dem rotleuchtenden Anzünder eine neue Zigarette in Brand.
    Inzwischen hatten sie die nördlichen Außenbezirke der Stadt durchfahren und steuerten wieder auf den Autobahnzubringer zu. Wie es aussah, fuhren sie im Kreis.
    »Wann ist eigentlich Ihre Schicht zu Ende?«, fragte Hagedorn und sah auf seine Uhr. Sie zeigte kurz nach halb zwei.
    »So gegen fünf«, antwortete die Fahrerin und sagte: »Wollen Sie ein bisschen Musik?«
    »Warum nicht?«, erwiderte Hagedorn und musste an Idas Gesichtsausdruck denken, als der Vorhang sich nach Ende des Stücks noch einmal öffnete, sie ihn an der Hand hielt und ihr die Tränen über das geschminkte Gesicht liefen, während sie zu immer neuen Verbeugungen ansetzte.
    Ihre Zeit in diesem ehrenwerten Haus war nun ebenfalls abgelaufen, und sie schien nur darauf zu warten, dass er, Hagedorn, sie im Anschluss an ihre letzte gemeinsame Vorstellung in irgendeinen Weinkeller entführte, um bei Kerzenlicht gemeinsam ihrer beider Situation zu bedauern. Doch Hagedorn dachte gar nicht daran. Denn sosehr er seine ein, zwei Jahre jüngere Kollegin für ihr Spiel schätzte, so wenig stand ihm |151| der Sinn danach, sich die Klagen einer alt gewordenen Schauspielerin anzuhören. Und so war er überstürzt, und ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen, aus der Theatergarderobe geflohen.
    Im Radio kamen Nachrichten. Es wurde immer noch von den Folgen des Erdbebens berichtet, das am Tag zuvor vor allem im Breisgau, in der Gegend um Freiburg, zu erheblichen Schäden geführt und ein Menschenleben gekostet hatte. Bis weit in die Schweiz hinein seien die Erdstöße zu spüren gewesen.
    »Verrückte Sache, so ein Erdbeben«, sagte Hagedorn, der in seiner Jugend in Thailand ein mittelschweres Beben erlebt hatte. Riesige Gebäude waren wie Kartenhäuser zusammengefallen.
    »Als wolle die Erde die Menschen davor warnen, sie weiter auszubeuten«, sagte die Fahrerin.
    »Scheint fast so«, sagte Hagedorn. »Aber der Wahnsinn geht weiter.«
    »Ja, leider«, sagte die Fahrerin. Dabei griff sie nach einer zusammengerollten Zeitung, die in der Mittelkonsole lag. Sie reichte sie Hagedorn nach hinten. »Haben Sie das gesehen?«
    »Was denn?« Hagedorn ergriff die Zeitung.
    »Da ist einer in den Fernsehnachrichten zusammengebrochen. So ein Erdbebenspezialist.«
    »So?« Hagedorn schaltete das Licht an, entrollte die Zeitung und überflog die Schlagzeilen. Links war das Schwarzweißfoto eines Mannes zu sehen. Darüber stand in dicken Lettern: »Geophysiker Magnus Springer erlitt Schwächeanfall im TV! Millionen sahen zu!«
    |152| »Der arme Mann.« Hagedorn legte die Zeitung neben sich auf den Sitz. Und dann sagte er: »Wieso fährt eine Person wie Sie nachts um zwei Taxi?«
    »Das hat sich einfach so ergeben«, antwortete die Fahrerin und nahm einen tiefen Zug.
    »Sie lassen sich nicht in die Karten sehen, verstehe!« Ihre knappe Antwort stachelte seine Neugierde weiter an. »Also, wenn ich Ihr Freund wäre, würde ich nicht zulassen, dass Sie nachts irgendwelche Finsterlinge herumkutschieren.«
    Da trat sie derart fest auf die Bremse, dass Hagedorn gegen den Vordersitz flog und mit dem Gesicht gegen die Kopfstütze knallte.
    »Verdammt!«, rief er und spürte ein dumpfes Brennen im Gesicht.
    »Sie

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