Leichtes Beben
Servierwagen mit all den Flaschen und natürlich die neue haselnussbraune Couchgarnitur.
»Nicht, dass ich wüsste«, antwortete er trocken. Und dann sagte er: »Scheiße, was?«
»Kann man wohl sagen«, erwiderte Georg und fragte: »Hast du ein Bier?«
»Im Kühlschrank«, sagte der Vater. »Er hat in meinem Bett geschlafen, und, wie es aussieht, war er nicht allein.«
»Das glaub ich nicht!«, rief Georg aus der Küche und nahm zwei Flaschen aus dem Eisschrank. »Hier«, sagte er und hielt seinem Vater eine Flasche hin.
Nach einem kräftigen Schluck sagte der: »Die haben’s in meinem Bett miteinander getrieben. Mein Nachbar, kannst du dir das vorstellen?«
Georg trank ebenfalls einen Schluck. »War wohl ein bisschen verrückt, der Typ.«
Der unablässig gegen die Rollläden prasselnde Regen klang, als würde trockenes Holz Feuer fangen.
»Komm mal, und sieh dir das an«, sagte sein Vater und manövrierte ihn an dem am Boden liegenden Toten vorbei.
Als Georg in dem Schlafzimmer seiner Eltern stand, fiel sein Blick unweigerlich auf das Foto über dem ehemaligen Nachtschränkchen seiner Mutter. |128| Zum Zeitpunkt der Aufnahme musste Georg vierzehn oder fünfzehn Jahre alt gewesen sein und hatte sein Leben, seine Eltern, einfach alles gehasst.
Die Nachttischlampe auf der Seite seines Vaters war mit einem hauchdünnen rosafarbenen Seidentuch verhangen. Offenbar, um für Stimmung zu sorgen. Neben dem Bett lagen mehrere leere Sektflaschen. Auf den Nachttischchen standen Gläser und ein Aschenbecher, in dem ausgedrückte Kippen lagen. Daneben die bunten Schnipsel aufgerissener Kondompackungen.
»Ein Saustall, was?«, sagte sein Vater und riss das Fenster auf, worauf trotz der heruntergelassenen Rollläden die kühle, feuchte Nachtluft hereindrang. Das Bett war zerwühlt, und die Laken waren voll weißlicher Flecken.
»Dieses Schwein!«, schnaubte sein Vater und lief aus dem Zimmer, wobei er nach einem der auf dem Boden liegenden Korken trat.
»Wir müssen ihn wegschaffen!«, sagte er, als er wieder im Wohnzimmer stand und auf die am Boden liegende Gestalt starrte. »Und zwar schnell!«
»Unmöglich«, sagte Georg. »Wie stellst du dir das vor? Wenn uns jemand sieht!«
»Dann wickeln wir ihn eben in den Teppich ein«, sagte sein Vater und lief zu dem riesigen Perser, auf dem der Servierwagen vor dem Panoramafenster stand.
»Der Typ war Zahnarzt, stimmt’s?«, sagte Georg und setzte die Flasche an.
»Ein echter Brutalo«, schnaubte sein Vater, der inzwischen neben dem Toten auf dem Boden kniete. |129| Zuvor hatte er den Servierwagen in die Essecke geschoben. »Der konnte einen stundenlang quälen, ohne mit der Wimper zu zucken.«
Georg war ihm ein paar Mal vor dem Haus begegnet, wenn er den Rasenmäher zurück in die Garage schob, nachdem er das kleine Rechteck im Vorgarten gemäht oder den Briefkasten geleert hatte, worum sein Vater ihn gelegentlich bat.
»Du willst den Typ doch nicht wirklich in den Perser einwickeln, oder?«, sagte er und ließ sich in den schräg vor dem Fernseher stehenden Ohrensessel fallen.
»Hast du vielleicht ’ne bessere Idee?«, antwortete sein Vater und drehte den Toten mit einem kräftigen Stoß vom Bauch auf den Rücken, sodass dessen erstarrtes Gesicht zu sehen war.
»Verdammt teure Schuhe, was?«, sagte Georg und ließ seinen Blick anerkennend auf den cremefarbenen Slippern ruhen. »Feinstes Kalbsleder.«
»Der Typ hatte ziemlich viel Geld«, sagte sein Vater. »Jedes Jahr hat er sich einen neuen Wagen zugelegt.«
Unterdessen hatte sein Vater damit begonnen, die Taschen des Toten zu leeren. Er legte dessen Brieftasche, ein Schlüsselbund mit Armani-Anhänger sowie einen schwarzen Metallkamm fein säuberlich auf den Boden. »Wir müssen ihm die Arme und Beine an den Körper legen, bevor die Leichenstarre einsetzt«, sagte er und drückte die Arme gegen den massiven Körper. »Los, pack mal mit an!«
Gemeinsam trugen sie den Toten auf den Perserteppich. Nachdem sie ihn darin eingewickelt und an |130| beiden Enden mit einer kräftigen Kordel verschnürt hatten, war Georg schweißgebadet.
»Hier!«, sagte er und hielt seinem Vater die Bierflasche hin. Draußen prasselte der Regen unvermindert gegen die Rollläden.
Als Georg irgendwann auf die Uhr sah, wurde ihm klar, dass sie bereits seit gut einer Stunde damit beschäftigt waren, neben der verschnürten Leiche zu sitzen, Bier zu trinken und die alten Fotoalben anzusehen, die seinem Vater bei der Suche nach einem
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