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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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»Kommt aus dem Orinoco-Delta. Nichts für Anfänger.«
    »Ah ja«, sagte Hoffmann, beugte sich interessiert nach vorn und besah sich die Fische etwas genauer. Silbrig hin und her huschende Schatten, die, sobald sie sich ins Licht drehten, bunt aufleuchteten.
    »Ich nehme einen von denen«, sagte Hoffmann und verließ den Laden wenige Minuten später mit einem prall mit Wasser gefüllten und zu einer Kugel aufgeblasenen Klarsichtbeutel. Immer wieder warf er einen prüfenden Blick auf den kleinen Buntbarsch darin.
    In einem ihrer ersten Gespräche hatte Fräulein Ogata Hoffmann von ihrer in Tokio lebenden älteren Schwester Megumi erzählt, einer Seiyu, auf die alle in der Familie sehr stolz seien. Auf Hoffmanns Frage, was denn eine Seiyu sei, hatte Herr Nishi, der seine kleine Küche verlassen und ihr Gespräch offenbar belauscht hatte, gesagt: »Eine Schauspielerin, die im Fernsehen anderen ihre Stimme leiht.«
    »Sie meinen eine Synchronsprecherin«, hatte Hoffmann ergänzt.
    »So ist es«, hatte Fräulein Ogata gesagt und lächelnd genickt. »Megumi ist in Japan eine Berühmtheit. Sie ist der Stolz unserer Familie. Eine wunderbare Person. Alle lieben sie.«
    Hoffmann musste, während er ging, daran denken, wie stolz Fräulein Ogata ausgesehen hatte, als sie über |189| ihre Schwester gesprochen hatte. Es hatte ihm imponiert, wie selbstverständlich sie sich am Erfolg ihrer Schwester freuen konnte. Ohne jede Spur von Neid oder Missgunst. Im Gegenteil. Sie schien vielmehr für ihr eigenes Leben Kraft daraus zu schöpfen. Wer konnte so etwas hierzulande schon von sich sagen? Dass er neidlos Kraft aus dem Erfolg eines anderen bezog. Ein Heiliger allenfalls. Oder einer, der den Verstand verloren hatte.
    Hoffmann blickte wieder auf den Barsch in dem Beutel, der darin haltlos hin und her wogte. Irgendwo hatte er gelesen, dass asiatische Restaurantbetreiber, die bereit waren, Schutzgelder an die japanische Mafia zu zahlen, dies damit zum Ausdruck brachten, dass sie Aquarien in ihren Restaurants aufstellten. Doch Hoffmann konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Herr Nishi, wenn auch gegen seinen Willen, mit der japanischen Mafia Geschäfte machte. Herr Nishi ein Handlanger der Yakuza, der mit seinen Zahlungen deren Existenz indirekt bejahte? Unvorstellbar!
    Hoffmann bog in die Straße ab, in der sich Herrn Nishis kleines Restaurant befand. Kaum hatte er die Eingangstür geöffnet, wich er auch schon zurück, und der mit Wasser gefüllte Beutel pendelte an seiner Hand langsam aus. Wie seinerzeit die auf Stojan Vitina gerichtete Kalaschnikow des Serben.
    Fräulein Ogata stand auf Zehenspitzen neben dem Aquarium und hatte einem jungen, deutlich größeren Asiaten beide Arme um den Hals gelegt. Ihr Kopf ruhte schutzsuchend an seiner Brust. Die Augen hielt |190| sie mit einem Lächeln geschlossen. Langsam drehten sich beide im Kreis.
    Hoffmann warf einen Blick auf den Barsch, löste seine Finger von dem Griff der Tür, die langsam zuklappte, und lief davon.
    Als er Stunden später in seiner Wohnung auf der Couch saß, den zerdrückten Klarsichtbeutel aus der Zoohandlung neben sich, während der Buntbarsch mit dem Bauch nach oben in der halb mit Wasser gefüllten, vor ihm auf dem Tisch stehenden Glasschale trieb, dachte er, dass es wichtig sei, Freunde zu haben. Oder eine Schwester wie das wunderbare Fräulein Megumi. Jemanden, dem gegenüber man sich öffnen konnte. Das konnte auch ein Hund sein. Nur kein Fisch. Fische lächelten nicht und starben viel zu schnell.

|191| Achtzehn
    Sie waren an diesem Morgen zu zweit unterwegs. Wang, der den LKW mit der hydraulischen Teleskopbühne fuhr, und Kovac, der oben im Arbeitskorb stand und die Fenster putzte.
    Die Firma Window 24 hatte sich auf Glas- und Rahmenreinigung gewerblicher und privater Gebäude sowie auf Bauabschluss- und Fassadenreinigung spezialisiert und beschäftigte inzwischen zwölf Mitarbeiter.
    Wang, der Anfang der neunziger Jahre aus Hongkong nach Deutschland gekommen war, war seit sieben Jahren bei Window 24, Kovac seit vier.
    Kovac hatte eine Zeitlang bei der Feuerwehr gearbeitet, bevor er zur Firma gestoßen war. Er hatte verirrte Katzen von Dächern geholt, Selbstmordkandidaten von Fenstervorsprüngen auf seine Arbeitsbühne gelotst und war in brennende Wohnungen eingestiegen. Ein stressiger Job, dem er mit seinem Wechsel zu Window 24 entkommen war.
    Kovac hatte die Fenster im Parterre und auch die im ersten und zweiten Stockwerk des Wohnhauses |192|

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