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Leichtes Beben

Leichtes Beben

Titel: Leichtes Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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und sprühte eine unsichtbare Duftwolke darauf. Anschließend wedelte sie mit dem Papierstreifen ein paar Mal hin und |185| her, hielt ihn Hoffmann hin und sagte: »Wie wäre zum Beispiel das hier?«
    Vorsichtig entwand er der Verkäuferin den Streifen und hielt ihn sich unter die Nase. Er schloss die Augen und roch daran, einmal, zweimal. Doch dieser Geruch, so fein und betörend er auch sein mochte, erinnerte nicht einmal entfernt an Fräulein Ogatas Sommerfliedergeruch.
    »Nein!«, sagte er. »Das ist es nicht. Es muss riechen wie das hier.«
    Erneut streckte er der Verkäuferin die Hand hin, die noch einmal daran roch. »Okay, Moment mal«, sagte sie und lief mit dem roten Flakon davon.
    Nach einer weiteren halben Stunde, er hatte inzwischen auf einem der mit schwarzem Kunstleder bezogenen Hocker Platz genommen, stand ein Dutzend verschiedenfarbiger Flakons vor ihm auf dem Tisch. Daneben lagen ebenso viele Papierstreifen.
    Erfolglos hatte die Verkäuferin ihm immer neue Vorschläge gemacht. Bis sie ihm, inzwischen sichtlich genervt, einen hellroten, der Form eines Obelisken nachgebildeten Flakon hinhielt und sagte: »Also wenn es das nicht trifft, bin ich mit meinem Latein wirklich am Ende!«
    Entschlossen zog sie die dunkelrote Verschlusskappe ab und besprühte einen weiteren Papierstreifen. Hoffmann las, was in goldenen Lettern auf dem Flakon stand: ANNAYAKE. Matsuri. Und wie die vielen Male zuvor nahm er auch diesmal den Papierstreifen in die Hand, schloss die Augen und roch daran. Und plötzlich war ihm, als rieche er nicht mehr an |186| einem dünnen Papier, sondern an Fräulein Ogatas zierlichem Handgelenk.
    »Ja!«, rief er erfreut. »Ja, das ist es!«
    »Na, Gott sei Dank!«, sagte die Verkäuferin erlöst und erhob sich.
    Zu Hause nahm er auf der Wohnzimmercouch Platz, zog die Schachtel aus der Plastiktüte, löste die Plastikfolie von der Verpackung, öffnete sie und ließ den schlanken Flakon behutsam in die andere Hand gleiten. Aus der Wohnung im ersten Stock war das Cellospiel von Fräulein Bernheim zu hören.
    Vorsichtig zog er die Verschlusskappe ab und hielt sich den Flakon unter die Nase. Berauscht von dem intensiven Fliedergeruch, träufelte er die Essenz in die zur Kuhle geformte linke Hand und stellte den Flakon vor sich auf den Tisch. Anschließend rieb er sich ausgiebig die Hände, presste sein Gesicht dagegen und badete es mit geschlossenen Lidern in der stark riechenden Lotion.
    Dabei stellte er sich vor, Fräulein Ogatas kleine Brüste zu liebkosen, ihren Hals und ihre runden Schultern. Und ihr Gesicht immer neu mit Küssen zu bedecken. Mit dem Gefühl, ihr ganz nah gekommen zu sein, ließ er sich gegen die Rückenlehne der Couch sinken und schlief irgendwann ein.

    Als Hoffmann zwei Tage später das »SMILING FISH« mit einem kleinen Blumenstrauß in der Hand betrat und auf den freien Tisch neben dem Aquarium zusteuerte, kam Fräulein Ogata auf ihn zu und sagte mit bekümmertem Gesicht:»Guten Tag, Herr Hoffmann!«
    |187| »Der ist für Sie«, sagte er stolz und hielt ihr den Strauß hin.
    »Danke schön«, sagte Fräulein Ogata und ergriff den Strauß. Doch der bekümmerte Ausdruck in ihrem Gesicht blieb.
    »Was ist denn mit Ihnen?«, fragte Hoffmann irritiert.
    »Mein Lieblingsfisch ist gestorben«, antwortete Fräulein Ogata und wies mit der freien Hand auf das Aquarium.
    »Oh, das tut mir leid!«
    »Ein Schmetterlingsbuntfisch«, sagte Fräulein Ogata. »Er war nicht sehr groß und vielleicht auch nichts Besonderes. Aber ich habe ihn geliebt und für seine Schönheit bewundert. Ich bin sehr traurig.«
    Hoffmann aß die bestellten Takoyaki. Und nachdem er lange in das Aquarium gestarrt hatte, ohne dem ruhelosen Treiben größere Beachtung zu schenken, legte er das Geld auf den Tisch, nahm seinen Mantel und verließ das Restaurant.

    »Ich möchte einen Schmetterlingsbuntfisch«, sagte Hoffmann zu dem Verkäufer, mit Blick auf die zahllosen hell strahlenden Aquarien. Der Mann, der einen verwaschenen hellgrünen Kittel trug, sah ihn freundlich an und sagte: »Sie meinen wahrscheinlich einen Schmetterlingsbuntbarsch?«
    »Ja, genau«, sagte Hoffmann.
    Sie gingen in einen angrenzenden Raum, wo der Verkäufer vor einem größeren, auf einem braunen Rollwagen stehenden Becken innehielt, in dem |188| eine Reihe kaum zehn Zentimeter großer Fische schwamm, über deren vordere Körperhälften sich jeweils schwarzglänzende Streifen zogen.
    »Mikrogeophagus ramirezi«, sagte der Verkäufer.

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