Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman
erlaubten.
»Na, wenn das nicht entzückend ist!«, sagte sie. »Wer hätte gedacht, dass du so über die Ehe denkst.«
Royston zwinkerte ihr zu. »Tja, siehst du, Mädchen, du weißt immer noch nicht alles über mich.«
Offenbar wurde das ganze Schiff heute von Poetenseelen heimgesucht. Ven hatte in der Mermaidia Today gelesen, dass ein Dichter, den sie sehr mochte – Rik Jones-Knight – an Bord war und am Abend eine Lesung abhalten würde. Für die anderen war es sicher nichts, vor allem weil im Broadway parallel ein Comedian ausLiverpool auftrat. Und den wiederum lobten Royston und Eric derart hymnisch, dass Ven sich schon darauf gefasst machte, allein zur Lesung zu gehen.
Als Nigel aufstand und ihnen einen schönen Abend wünschte, fragte Ven sich, ob ihre Fantasie mit ihr durchging, denn sie hatte das Gefühl, dass er sich von allen außer ihr verabschiedete. Sein Blick huschte über sie hinweg, als wäre sie gar nicht da. Es war bloß ein flüchtiges Gefühl, aber dennoch verwirrend. Zudem stellte Ven fest, dass ihre Intuition mit zunehmendem Alter immer verlässlicher wurde. Sie sollte sich trotzdem zusammenreißen, wirklich. Ihre Chance auf ein romantisches Techtelmechtel mit dem Captain war ungefähr so groß wie … tja, wie die von Roz auf eines mit Raul Cruz!
59. Kapitel
Wenn ein Mann auf dieser Welt wie ein gequältes Genie aussah, dann war es definitiv der Dichter Rik Jones-Knight. Er besaß eine Art abgehalfterte Vornehmheit. So eine Aura hatten Männer, die eigentlich in einen Smoking gehörten, sich aber keinen leisten konnten und deshalb auf reiche Freunde angewiesen waren, die ihnen einen abgelegten vermachten. Sein Haar war auf rührende Weise ungekämmt und fiel ihm in langen melierten Locken bis auf die schwarzgewandeten Schultern – sehr siebzehntes-Jahrhundert-mäßig. Frankie stellte sich vor, wie er den Kopf schüttelte und eine Puderwolke von seinem Haupt aufstob.
»Ich hatte noch nie was mit Dichtern am Hut«, gestand sie. »Und der hier sieht ja noch affiger aus als die meisten, von denen ich bisher Bilder gesehen habe.«
»Er ist Kult«, sagte Ven.
»Logisch, dachte ich mir.«
»Jetzt hör schon auf«, schimpfte Ven. »Du hättest ja mit den anderen ins Broadway gehen können.«
»Nee. Ich bin freiwillig mit dir gegangen, weil mir nach ein bisschen Kultur ist.«
»Wie bitte?«
»Okay, ich war auch neugierig. Und ich vermute, dass dieser Typ witziger ist als ein Komiker, der konsequent im Liverpool-Dialekt quäkt.«
»Er ist überhaupt nicht witzig, sondern ungewöhnlich. Er schreibt ein Gedicht und streicht hinterher jedes unnötige Wort raus. Manchmal dauert es Jahre, bis er ein einzelnes Gedicht fertig hat. Also, ja, du warst zurecht neugierig.«
»Bin ich noch«, sagte Frankie. »Aber wahrscheinlich aus anderen Gründen als du.«
Ven schmunzelte. Sie wusste, dass Frankie nicht zu bekehren war. Doch es war nett, dass sie mitkam, damit Ven nicht allein hierher gehen musste.
Als Rik Jones-Knight auf die Bühne trat, wurde wild applaudiert, und er verneigte sich höflich.
»Danke, Ihnen allen«, sagte er und warf eitel sein Haar nach hinten. Es entstand eine längere Pause, während er wartete, dass alle verstummten.
»In einer Welt, in der die Poesie für die breiten Massen etwas Unverständliches, ein entbehrlicher Luxus ist, steht meine Arbeit für Einzigartigkeit«, begann er reichlich, nun ja, unbescheiden. »Ich glaube an die alltäglichsten und somit perfekten Worte für meine Oper. Beginnen wir mit ›Regen‹.«
Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als Rik Jones-Knight sich sammelte und seinen Gedichtband aufschlug, aus dem er vorlas.
»Regen.«
Zwischen dem Vorlesen des Titels und dem Beginn des eigentlichen Gedichts war hinreichend Zeit für einen kleinen Schauer. Er wollte ohne Frage die Spannung steigern.
»Regen
Heftig
Schnell
Nass.«
Dann brüllte er: »ER KOMMT!«
Das Echo seiner Worte verhallte im Raum und ging nahtlos in Applaus über.
»Wieso klatsche ich?«, fragte Frankie. »Weil bei ihm ein Schauer wie eine heiße Nummer klingt?«
»Mehr oder weniger«, antwortete Ven amüsiert.
»Ich hätte auch was anzubieten, das sich sogar reimt: Bei dem Quark von Rik Jones-Knight, lauf schnell weg, vor allem wei…«
»Schhh!«, machte Ven.
Jones-Knight wartete geduldig, bis der Applaus verebbte.
»Mein nächstes Gedicht heißt ›Myra‹.«
Es ertönte hie und da ein schockiertes »Oh« aus dem Publikum. Er meint
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