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Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman

Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman

Titel: Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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doch wohl nicht Myra Hindley, die Kindermörderin, dachten alle. Gott, wie mutig!
    »Myra«, wiederholte er und senkte die Stimme zu einem unglücklichen Flüstern.
    »Warum?«
    Er senkte den Kopf, als würde er beten, und wartete abermals auf das Klatschen, das auch nach einigem Zögern einsetzte.
    »Ein Genie«, hauchte die Frau neben Frankie erfürchtig. »Mehr muss niemand über sie wissen, nicht?«
    Frankie wollte etwas erwidern, ließ es aber, denn im Grunde hatte sie recht.
    »Das habe ich fast verstanden«, flüsterte sie Ven zu. »Heißt das jetzt, ich werde standrechtlich erschossen, weil ich eine affige Kulturtusse bin?«
    »Tja, ich kriege dich auf jeden Fall binnen der nächsten Stunde dazu, dass du Limericks dichtest«, antwortete Ven augenzwinkernd.
    Es folgten noch mehrere Gedichte zu unterschiedlichen Themen. Die Sonne, die Liebe (»Geboren. Gestorben«), Fußspuren, Gin und Kohle (Männer. Minen. Zerquetschte Leiber. Schichten. Tote.), um nur einige zu nennen. Die Frau neben Frankie hätte hinterher gut eine Zigarette gebrauchen können, nachdem sie Rik Jones-Knights Crescendo am Ende durchgehechelt hatte, oder zumindest ein eiskaltes Bad, so sehr war sie Feuer und Flamme. Und natürlich war sie auch die Erste in der Schlange, um seinen Gedichtband für sage und schreibe 30 Pfund zu kaufen. In dem Buch waren so gut wie keine Worte, dafür reichlich viele Fotos vom »Genie« in diversen Posen ernster Versunkenheit. Die Aufnahmen waren entweder sehr alt oder mit Photoshop enorm nachbearbeitet worden.
    »Bei seinen Buchpreisen ist er jedenfalls nicht minimalistisch«, sagte Frankie, die sich mit Ven angestellt hatte.
    »Gib’s zu, du hast es auch ein bisschen genossen.«
    »Und wie! Ich gehe direkt in meine Kabine und schreibe ein Buch.«
    »Du würdest das anders sehen, wenn du Miss Tanner in Englisch gehabt hättest«, sagte Ven lachend. »Durch sie habe ich Lyrik lieben gelernt.«
    »Tja, wir konnten ja nicht alle Überflieger sein. Manche von uns mussten mit Mrs. Euston vorlieb nehmen, die Unterrichten so langweilig fand wie wir ihren Unterricht. Ich frage mich, ob sie inzwischen tot ist. Oder ob sie nebenberuflich noch immer durch den Loch Ness schwimmt.«
    »Frankie, du bist böse.«
    »Stimmt nicht. Ich habe sie damals nur für tot gehalten. Da habe ich schon gekochte Krebse mit mehr Temperament gesehen.«
    »Sie war ziemlich furchtbar«, gab Ven zu, als Frankie sich bei dem Gedanken an Mrs. Euston schüttelte. Gute Lehrer konnten Leben verändern, wusste Ven. Frankie war viel zu klug gewesen, um in dem Grundkurs für englische Literatur zu landen. Dass sie trotzdem dort festhing, hatte ihr jedwedes Interesse an dem Fach gründlich ausgetrieben. Derweil blühte Vens Begeisterung für Literatur dank Miss Tanner richtig auf. Es begann mit ihrer Faszination für Keats’ ausdrucksstarke Dichtung und machte sie zu einer leidenschaftlichen Leseratte.
    Schon damals war Ven wild entschlossen gewesen, einmal Schriftstellerin zu werden, und Miss Tanner sagte ihr, dass sie auch das Zeug dazu hätte. Es war lange her, seit Ven zuletzt etwas geschrieben hatte. Ian gefiel es nicht, wenn sie abends an ihrem Manuskript saß. Er fand es unhöflich, dass sie ganz in sich versunken war,statt sich mit ihm zu beschäftigen. Und obwohl Ven wortgewaltigere Lyrik vorzog, hatte Rik Jones-Knight heute Abend etwas in ihr bewegt. Sollte Frankie ruhig spotten. Er hatte ihre Liebe zur Sprache neu entfacht, die zu einem Stück Prosa oder Poesie zusammengefügt ein vollkommenes Bild ergaben, ähnlich einem perfekten Puzzle. Sie musste sich dringend Stift und Papier besorgen und sehen, ob sie es noch konnte.
    Mittlerweile waren sie vorn in der Schlange angekommen. Aus der Nähe erkannte man, dass Rik Jones-Knight stark geschminkt war, was ihn dennoch nicht so jung aussehen ließ wie auf seinem Werbeplakat. Vielmehr sah er wie einbalsamiert aus, dachte Frankie. War er eventuell mit Mrs. Euston verwandt?
    »Möchten Sie, dass ich eine Widmung reinschreibe?«, fragte er Ven, die auf einmal ziemlich nervös und schüchtern wirkte.
    »Ja, bitte. Für Venice.«
    »Venice. Venice«, murmelte er vor sich hin, als suchte er die einzelnen Buchstaben auf eine verborgene Bedeutung hin ab. »Das wird der Titel meines nächsten Gedichts.«
    Vens Begeisterung übertrug sich auf die gesamte Schlange. Er schrieb übertrieben ausholend auf die Innentitelseite und wandte sich dann an Frankie, während ein Crew-Mitglied die Daten von Vens

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