Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman
dort zu arbeiten. Der kleine Garten hinter Doreens Haus hingegen bot gerade ausreichend Platz für wenige Töpfe mit Tomatenpflanzen und die Mülltonnen. Als Olive und David vor dreizehn Jahren geheiratet hatten, wollten sie eigentlich nur ein paar Monate bei ihrer Schwiegermutter wohnen.
Ven rüttelte Roz wach. »Hallo, Dornröschen, wir sind gleich da.«
Roz streckte sich. »Wie spät ist es?«
»Halb zwei.«
Clive, der Busfahrer, forderte sie alle auf, ihn zu bedauern, weil er jetzt zurückfahren und morgen die nächste Fuhre Passagiere nach Southampton bringen müsste. Danach erst hätte er einige Tage frei. Er selbst wäre noch nie auf Kreuzfahrt gewesen und daraus würde wohl auch nichts mehr, denn wenn schon, wollte er eine dieser Schickimicki-Kabinen mit Balkon, und die konnte er sich nicht leisten.
»Er sollte mal den Lieferservice ausfallen lassen. Eine Woche ohne Pizzataxi und Chinaboten, und er kann von den Ersparnissen bestimmt ein ganzes Schiff chartern«, spöttelte Roz.
»Du bist böse«, lachte Ven. Roz’ Humor war schon immer bissig gewesen, insbesondere in den letzten Jahren, aber sie konnte dabei wirklich ausgesprochen witzig sein. Nun machte sie Clives Stimme so herrlich übertrieben nach, dass Ven vor lauter Lachen keine Luft mehr bekam.
»Dienstags teilen meine Mutter und ich uns immer einen Teller knusprige Pfannkuchen und eine große Dose Markerbsen und gucken dabei alte Serien. Und wenn ich sag, wir teilen, dann mein ich, dass ich alles alleine esse, weil meine Mutter nämlich seit zwei Jahren tot ist. Die kriegt nicht mehr viel runter. Sie sitzt nur noch in ihrem Schaukelstuhl und verwest vorm Ferni.«
»Links können Sie jetzt schon das Schiff sehen«, sagte der echte Clive, als sie sich dem Hafen näherten. Dort lag ein weißes Schiff mit gelbem Wappen. Es war ungefähr fünfzigmal größer als die Freundinnen erwartet hatten.
»Ach du Schande, das ist ja riesig!«, hauchte Roz. Die Mermaidia wirkte wie eine mehrstöckige Kleinstadt.
Olive sagte nichts, weil ihr vor Staunen der Mund so weit offen stand, dass sie sich fast den Kiefer ausrenkte.
Der massige Clive bat alle, nach dem Anhalten noch ein wenig im Bus zu bleiben, bis das Gepäck ausgeladen war. Mr. B-Deck hörte selbstverständlich nicht auf ihn.
Aus der Nähe sah das Schiff sogar noch größer aus. Olive war nach wie vor sprachlos. Ohne die Kopfschmerzen gestern hätte sie jetzt schon das Mittagessen halb fertig und würde unter Brechreiz Kevins Wäsche in die Maschine laden. Was wohl jetzt in der Land Lane Nummer 15 abgeht? , fragte sie sich, bis Clive laut rief: »Okay, Ladys und Gentlemen. Sie können jetzt aussteigen. Eine supertolle Reise Ihnen allen, und vergessen Sie nicht, mir eine Postkarte zu schreiben!«
»Komm, Olive«, sagte Ven. »Dein Urlaub fängt gleich an.«
Sie stiegen aus dem Bus und verabschiedeten sich von dem armen Clive. Ven hoffte, dass die fünf Pfund Trinkgeld, die sie ihm gab, ihn ein wenig darüber hinwegtrösteten, dass er nicht auf sechzehntägige Kreuzfahrt ging. Von dem Geld könnte er sich eine Menge Pizza bestellen, besonders wenn er das günstige Mittagsangebot nutzte.
»Ich kann noch gar nicht glauben, dass ich tatsächlich da rauf gehe«, sagte Olive und zeigte zum Schiff. Sie hatte dasselbe Kribbeln im Bauch wie damals, als sie zum ersten Mal den Blackpool Tower gesehen hatte. Den Ausflug hatten Vens Mum und Dad zu ihrem zwölften Geburtstag mit ihnen gemacht.
»Tust du auch nicht, wenn du jetzt nicht mit mir kommst und dich anstellst«, entgegnete Ven. »Ich habe dein Ticket. Halte deinen Pass bereit.«
»Begrüßt dich der Mann vom Preisausschreiben?«, fragte Olive. »Wie heißt er noch?«
»Äh … Andrew irgendwas. Nein, davon haben sie nichts gesagt. Aber wir treffen ihn sicher an Bord.«
»Ich dachte, er würde hier mit einem Fotografen warten, um ein PR-Bild zu machen. Ich meine, das ist ja schon ein etwas anderer Preis als ein Dreierpack Geschirrhandtücher, oder?«
Ven antwortete nicht, sondern betrachtete die Bilder von der Figurehead-Flotte an den Wänden des Terminal-Gebäudes und ging einige Schritte vor, als sich die lange Schlange bewegte.
Olive hatte mindestens sechzig Mal nachgesehen, ob ihr Pass in ihrer Tasche war, bekam aber trotzdem Panik, als sie ihn nicht auf Anhieb fand, weil er zwischen die Seiten ihrer Zeitschrift gerutscht war. Seit sie Doreen gestern die Straße entlangflitzen gesehen hatte, bekam sie immer wieder Herzrasen.
Sie sahen
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