Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman
Samovar. Kommst du mit oder nicht?«
»Nein, Ol, diesmal nicht. Ich lass es nicht gut sein.« Roz war wie ein Bluthund, der eine Witterung aufgenommen hatte. Sie konnte nicht aufhören.
Olive legte eine Hand auf ihren Arm, doch Roz wich zurück.
»Warum habe ich das Gefühl, dass ihr auf Frankies Seite seid? Wieso geht ihr nicht auf sie los, weil sie so fies zu mir war?«
Olive nagte an ihrer Unterlippe. Jetzt wurde es gefährlich. Und Olive hatte selbst ein paar Gläser Wein intus. »Natürlich haben wir ihr Vorwürfe gemacht«, sagte sie gekränkt.
»Ja, klar habt ihr. Und was dann? Habt ihr ihr gesagt, dass sie abspecken, sich falsche Möpsen besorgen und das Haar blond färben soll, damit sie bessere Chancen bei Manus hat? Zu schade, dass sie sich nicht auch strecken lassen konnte, aber man kann eben nicht alles haben, nicht?«
»Roz, du redest Blödsinn«, sagte Olive. Sie war eine sanftmütige Frau mit einer Engelsgeduld, aber nach vier langen Jahren hatte Roz selbst die erschöpft.
»Da hast du es! Du würdest nie irgendwas gegen die arme kleine Frankie sagen, die ihren Job und ihren Freund verloren hat und ihr Haus verkauft, um sich neue Möpse zu kaufen. Gut zu wissen, was für Freundinnen man hat!«
»Wir sehen uns morgen«, sagte Olive und öffnete die Tür zum Schiffsinneren. Doch Roz schlug sie wieder zu.
»Und wieder mal weichst du mir aus. Wieso kann mir keiner ehrlich antworten? Das kapier ich einfach nicht!«Roz war inzwischen ziemlich laut, aufgebracht und jenseits jeder Vernunft. Und Olive war gefangen in ihrem Käfig aus sogenannter Loyalität, dessen Gitterstäbe sich bedenklich durchbogen und zu brechen drohten. »Was ist es, Ol?« Roz lächelte traurig. »Verrate mir bitte, was die hübsche, wunderbare, fabelhafte, süße kleine Frankie Carnevale hat, das sie für euch so scheißkostbar macht?«
»Krebs, Roz. Das ist es, was Frankie hatte. Und der Krebs war der Grund, weshalb sie Trost brauchte, irgendeinen Trost, und zufällig war Manus der Erste, der ihr über den Weg lief!«, schrie Olive. Jetzt war es heraus, das Wort, von dem Olive und Ven schwören mussten, es nie auszusprechen. Aber es gab kein Zurück mehr.
»Was?«, hauchte Roz.
»Krebs. Frankie hatte Brustkrebs. Keiner hat ihr derart die Hölle heißgemacht wie wir, als sie uns erzählte, dass sie Manus geküsst hat. Und, ja, Ven und ich waren furchtbar sauer auf sie, nur zu deiner Information. Frankie hat sich selbst dafür gehasst, versuchte nicht einmal, sich uns gegenüber zu rechtfertigen. Erst Tage später hat sie uns von der Diagnose erzählt. Sie rief uns an und bat uns, zu ihr zu kommen. Und da sagte sie uns, warum ihr das mit Manus passiert ist. Sie war zu dir gefahren, weil sie DIR von der Diagnose erzählen wollte, aber du warst nicht da. Manus schon, und sie brauchte schlicht jemanden, der sie in die Arme nahm.« Olive kämpfte mit wütenden Tränen, die sie auf keinen Fall weinen wollte. In diesem Moment musste sie stark sein. Es wurde höchste Zeit.
»Bevor du fragst, Manus hatte keine Ahnung, was mit ihr war, und er weiß es bis heute nicht. Er hat nur gesehen, wie furchtbar niedergeschlagen sie war, und sie in die Arme genommen. Den Rest kennst du. Er wusste nicht, was in ihr vorging, auch wenn ihm völlig klar war, dass ein Kuss keine Lösung war. So oder so, Frankie war entschlossen, alles hinzunehmen, was du ihr an den Kopf schmeißen würdest, weil sie sich selbst die schlimmsten Vorwürfe machte.«
Roz war erstarrt, unfähig sich zu rühren oder etwas zu sagen. Jener verhängnisvolle Tag schien noch einmal vor ihrem inneren Auge abzulaufen. Sie und Manus hatten wieder mal gestritten, wegen etwas so Lachhaftem, dass Roz sich nicht mehr daran erinnerte, nur dass sie angefangen hatte – wie immer. Sie war aus dem Haus gestürmt, hatte sich in ein Café gesetzt und schließlich beschlossen, nach Hause zurückzugehen und nicht mehr so kindisch zu sein. Manus hatte ihr aufgemacht und ganz elend ausgesehen. Und er hatte »gestanden«, weil er ihr erklären wollte, dass irgendetwas Schlimmes mit Frankie sein musste, wenn sie sich so verhielt. Hatte Roz jemals darüber nachgedacht? Nein. Sie war völlig auf seinen Vertrauensbruch fixiert gewesen, kostete es aus, endlich einen Grund für ihre zahllosen Vorhaltungen zu haben und den endgültigen Beweis, dass sie keinem Mann je vertrauen durfte.
Nun wurde ihr bewusst, dass sie die ganze Zeit die Wahrheit nicht hatte sehen wollen. Ihr wurde schwindlig.
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