Leichtmatrosen küsst man nicht - Roman
»Warum habt ihr mir nichts gesagt? Ich hätte es verstanden.«
»Nein, hättest du nicht«, sagte Olive ungewöhnlich schroff. »Du hörst uns schon nicht mehr richtig zu, seit es mit Robert und dir vorbei ist. Den Drecksack hast du wie einen Gott behandelt, und Manus, der ein Mannist, für den jede von uns töten würde, Manus kriegt den ganzen Dreck ab, den du Robert hättest an den Kopf werfen sollen. Ehrlich, du lauerst doch nur darauf, dass er irgendwas tut, für das du ihn in Grund und Boden giften kannst, wie du es bei Robert nie gemacht hast. Und dann bot Frankie dir die ideale Gelegenheit. Das muss für dich wie Weihnachten gewesen sein, Roz. Der Mann liebt dich anscheinend wie verrückt, dass er sich so viel von dir gefallen lässt, denn du bist unausstehlich zu ihm!«
Roz sah aus, als hätte Olive sie geohrfeigt, aber ausnahmsweise hörte sie ihr zu, und Olive konnte sich nicht bremsen.
»Wir wollten dir das mit Frankie von Anfang an sagen, aber wir mussten ihr schwören, es nicht zu tun. ›Das ist keine Entschuldigung‹, meinte sie. ›Ich hatte kein Recht, das zu machen, egal was gerade in meinem Leben los ist.‹ Sie wusste, dass du ihr so was nie angetan hättest. Mein Gott, wir haben wirklich auf sie eingeredet, als wir die Wahrheit erfuhren, aber das war nichts im Vergleich dazu, wie sie sich wegen der Geschichte fertiggemacht hat. Dann hatte sie ihre Operation, und die war erfolgreich. Deshalb dachte Frankie, dass du nie von ihrem Krebs erfahren musst. Sie hat gesagt, wenn du deine ganze Wut auf sie konzentrierst, könnten Manus und du wieder zusammenfinden. Hat nicht funktioniert, oder? Du ahnst nicht, wie oft ich kurz davor war, dir alles zu sagen, vor allem, wenn wir unsere Samstagsverabredungen platzen lassen mussten, um zu ihr zu fahren und ihr zu helfen. Du hättest irgendeine blöde Bemerkung gemacht, ohne zu wissen, was wirklich los ist. Es war dir gegenüber nicht fair, da sind Ven und ich uns einig,aber Frankie wusste auch, dass sie mit ihrer Erklärung zu spät kam und dass du dir nie verzeihen würdest, sie deshalb so sehr gehasst zu haben. Sie fand es besser, dass du nichts weißt, statt dass du dich selbst hasst.«
Roz stiegen Tränen in die Augen und kullerten ihre Wangen hinunter. Aber Olive war noch nicht fertig. Wenn sie sowieso schon dabei war, konnte Roz auch gleich alles erfahren.
»Sie musste sich beide Brüste abnehmen und neu aufbauen lassen, und sie hat sie ein bisschen größer machen lassen, um ihr Selbstvertrauen zu stärken, denn sie war am Boden, Roz. Was ihr Haar betrifft, das ist nicht gefärbt. Von der Chemo wurde sie kahl, und als das Haar hinterher wieder zu wachsen begann, hatte es diese Farbe. Sie traut sich nicht, es dunkel zu färben, weil sie Angst hatte, dass es wieder ausfällt. Und sie hat festgestellt, dass kahle Stellen in hellem Haar leichter zu verstecken sind. Also, nein, sie hat nicht versucht, mehr wie du auszusehen, damit Manus sich in sie verliebt. Und mit deiner Feindseligkeit ist Schluss, klar? Ehrlich, Roz, du schwimmst schon so lange in einem Meer aus ICH-ICH-ICH, dass du inzwischen Flossen haben müsstest.«
Roz schlug sich die Hände vors Gesicht. Die Tränen liefen durch ihre Finger und tropften aufs Deck. »Mein Gott«, sagte sie wieder und wieder. Sie dachte an all die schrecklichen Dinge, die sie über Frankie gesagt hatte, und schämte sich unendlich. Diese Scham war schon immer da gewesen, nur hatte Roz sie bislang erfolgreich als Hass nach außen gerichtet. Nun sah sie sich selbst durch die Augen der anderen, und das war kein hübsches Bild.
»So, jetzt weißt du Bescheid«, sagte Olive. Ihr warschlecht. Ven und Frankie würden sie umbringen. Was hatte sie nur getan? Fast wünschte sie, sie wäre wieder zu Hause in der Land Lane, weit weg von ihnen. Mittlerweile weinte Roz bitterlichst, aber Olive konnte sich nicht dazu bringen, sie zu trösten. Sie war ausgelaugt, müde, genervt und wütend, weil sie das Geheimnis hatte platzen lassen müssen. Vier lange Jahre voller verschwendeter Energie, Lügen und Verbitterung hatten bei jeder von ihnen ihren Preis gefordert. Olive reichte es. Sie öffnete die Tür und ließ Roz allein zurück.
Roz wischte sich über die Augen. Ihr war egal, dass ihr Mascara wahrscheinlich bis zu den Knien verschmiert war, denn in Gedanken war sie bei Frankie. Nachdem sie von ihrem Krebs erfahren hatte, war sie zu ihr gekommen, weil sie beide »Froz« waren. Roz stellte sich vor, welche Angst Frankie
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