Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
ehemals tragenden Metalltonnen darunter fehlten – die sammelte soeben der Schleusenwärter ein, lautstark fluchend von einem kleinen Motorboot aus; die Schleusenkammer war noch immer geöffnet. Dadurch hatte das Ding starke Schlagseite, das Deck wurde vom lauen, blaugrün schimmernden Wasser der Müritz-Havel-Wasserstraße überspült, sogar ein paar kleine Fische schienen sich für das Boot zu interessieren, jedenfalls schwammen sie im flachen Deckwasser umher. Einige persönliche Gegenstände – zwei Rucksäcke, ein paar Handtücher – dümpelten dort ebenfalls herum und wurden nur von den Resten der vorderen Reling abgehalten, auf immer zum Grund zu sinken. Wie ein fader, aber origineller Kommentar schwammen einige Skatkarten neben dem Boot im Wasser. Null ouvert .
Die Sachsen starrten weiterhin schweigend.
»Die Wasserschutzpolizei ist informiert«, sagte jemand – der Schleusenchef. »Ihr könnt von Glück reden, dass die Schleuse keinen Schaden genommen hat.« Er vertäute seine Nussschale und begann damit, die Tonnen an Land zu hieven – niemand machte Anstalten, ihm zu helfen. Die alten Herren verblieben in katatonischer Schockstarre.
»Wieso wir ?«, fragte Simon und tat überrascht.
Der Mann, rotgesichtig von der Anstrengung, sah unseren Haushandwerker an. »Ihr Deppen habt doch dieses Schiff gesteuert, oder?«
»Ja, aber wir haben das Scheißfloß nicht daran festgemacht und dann vergessen . Das war die Rentnercombo dort.« Simon zeigte auf die Pensionärsgruppe, in die jetzt endlich Bewegung kam, als hätte jemand eine Glocke geläutet. Lautstarkund komplett unverständlich meckerten die drei in einer lustigen Sozio- und Dialektmischung los, kletterten ungebeten an Bord und nahmen von der Heckterrasse aus die Reste ihres Boots in Augenschein. Simon sprang unter Deck, kam mit einem seiner Telefone am Ohr zurück.
»Ist bei Karola gechartert«, sagte er, eine Hand vors Mikro haltend und mit der anderen auf eine Metallplakette am schiefen Wohnbereich des Floßes weisend. »Keine Sorge.«
Einer der drei Herren schaffte es, auf die Floßreste zu wechseln, was das Wrack mit starkem Schwanken quittierte.
»Sie sollten das besser nicht tun«, meinte Mark, koksgeschwängert lächelnd.
Der Mann ignorierte ihn und begann damit, allen möglichen Krempel aus dem Kabäuschen zu holen und auf unser Boot zu werfen. Rucksäcke, Kleidung, drei Sechserträger irgendeiner Billigbiersorte, zwei Körbe mit Arzneien und – hol’s der Teufel – verpackten Inkontinenzbinden, mehrere Plastiktüten, ein Transistorradio und zwei Fotoausrüstungen. Für einen Moment verspürte ich etwas wie teilnahmsvolle Rührung, sah mich selbst beim Bootsurlaub in dreißig Jahren, mit Billigbier und Pissbinden im Gepäck. Die beiden anderen Kollegen nahmen das Zeug entgegen und verbrachten es auf der anderen Seite an Land. Während die drei in enervierender Langsamkeit und stumm wie Havelfische zugange waren, pendelte das angeschlagene Schiffchen wie der Kopf eines Wackeldackels. Dann gab es plötzlich ein Fump-Geräusch, unter der Steuerbordseite tauchte eine weitere Metalltonne auf, die nun zwischen unserem Schiff und dem Wrack der Männer schwamm, das dadurch gemächlich in so starke Schieflage kam, dass es kein Halten mehr gab. Wie in Zeitlupe drehte es sich um die Längsachse, dann löste sich knirschend der Aufbau und rutschte, zusammen mit dem mitteldeutschen Geronten, der darin herumfuhrwerkte, seitlich von Deck. Das Geräusch dazu war kein Platschen, sonderneher ein besinnliches Gurgeln, begleitet von einem hölzernen Quietschen. Durch die Menschenmenge, die sich auf der Wiese um uns versammelt hatte, ging ein Stöhnen. Ich sprang ins Wasser, in sicherer Entfernung, und schwamm in die Richtung, in der ich den alten Sachsen vermutete – und kurz darauf, unter dem ehemaligen Dach des Aufbaus ziellos herumtauchend, auch fand. Henner hatte inzwischen die Badeleiter angebracht, über die wir – der Alte zuerst – an Bord der Tusse kletterten.
Dann traf Karola ein, keine drei Minuten später gefolgt von einem Einsatzfahrzeug der Wasserschutzpolizei, an dessen Bug ein braungebrannter Enddreißiger mit Bürstenschnitt stand, der mir bekannt vorkam; Henner musterte ihn mit böse zusammengekniffenen Augen. Mark war dabei, die Reste des Sachsenbootes – im Prinzip nur das aufbaulose Deck – vor uns zu vertäuen, während Simon und ich mit Bootsstange und Hilfe des Schleusenmeisters versuchten, die herumschwimmenden Wrackteile
Weitere Kostenlose Bücher