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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Klogespräch zu denken vermied. Henner riss reflexartig die Hände hoch und drückte sie dem hierdurch erschrockenen Jungen auf die Ohren, aber natürlich zu spät. Simon nickte nur kurz, auch in Richtung von Finn-Lukas, mit Nicht-vor-dem-Jungen-Mimik.
    Nein! Oder? Unfassbar!
    Walter und Sofie saßen busselnd an Deck ihrer Schaluppe, grüßten völlig unbefangen, nahmen den Sohn herzlich in Empfang, der das geschenkte Buch präsentierte, uns aber sehnsüchtige Blicke nachwarf. Wir setzten uns auf die Terrasse, keine drei Meter Luftlinie entfernt, aber nicht im Blickwinkel, Simon ging sich anziehen, Mark öffnete Biere – »Die letzten für heute. Höchstens die vorletzten.«
    Simme kam zurück, nahm einen Schluck, zündete sich übertrieben umständlich, ständig gegen ein breites Grinsen ankämpfend, eine Zigarette an. Mark zappelte. Henner starrte entgeistert in Richtung Boot der Dickenfamilie, das er nicht sehen konnte, dann zu Simon.
    »Wie kannst du nur?«, fragte ich, aber amüsiert.
    Er lächelte entspannt. »Ist, ehrlich gesagt, mein Beuteschema. Ich mag fülligere Frauen«, sagte er angemessen leise. »Sie hat einen netten Körper, viel straffer, als er aussieht. Und ich hatte in diesem Jahr überhaupt noch keinen Sex.«
    »Und Walter?«, flüsterte Henner, die Grenze zur Fassungslosigkeit direkt vor dem geistigen Auge.
    »Hat zugeschaut. So sind die. Sofie bumst, Walter sieht zu. Bei jeder Gelegenheit, im Swinger-Club und so. Ist an und für sich nichts Ungewöhnliches.«
    »Nichts Ungewöhnliches ?«, wiederholte der Pfarrer in Mark-Manier.
    Simon sah ihn an, fest, fast ein bisschen brutal, auf jeden Fall mit einem Ausdruck von Überlegenheit. »Leute, die ihre Träume ausleben, ihren Wünschen nachgeben, sie sich überhaupt erst einmal eingestehen – ohne jemandem damit zu schaden. Sollte es mehr von geben, dann wäre die Welt friedlicher. Ziemlich viel von diesem ganzen Unsinn hat seine Ursache darin, dass sich Leute aus Angst ihren eigenen Interessen verweigern, was sie dann dadurch kompensieren, dass sie andere drangsalieren.«
    »Hat er dabei gewichst?«, wollte Mark wissen, hingerissen und fasziniert.
    Simon schüttelte den Kopf. »Er ist danach zu ihr gestiegen, als ich fertig war. Aber es wäre mir auch anders egal gewesen. Sex ist eine schöne Sache, wenn man begreift, wie hinderlich Ängste und Vorurteile sind. Letztlich geht es nur um Entspannung.«
    Wieder war ich verblüfft, wie am Nachmittag, als er vom Kneipentresen-Mikrokosmos erzählt hatte. Simon war eindeutig nicht der, der er zu sein vorgab. Henner starrte ihn an.
    Während wir sprachen, hielt ich fortwährend Ausschau, aber die Kanus erschienen nicht. Die Sonne näherte sich den Baumwipfeln, es war kurz vor neun, früh am Abend. Ein paar blaugraue Wolken erschienen am nördlichen Himmel, der in Sonnennähe zu glühen begann. Vielleicht, dachte ich, waren die Kanuten irgendwo eingekehrt, um später den Hafen anzusteuern. Vielleicht waren sie gleich wieder umgekehrt. Vielleicht lag die Verleihstation kurz hinter der Schleuse, und ich hatte sie nur nicht gesehen.
    Es wurde halb zehn, zehn, also dunkel, wenn auch längstnicht so stockfinster wie in der ersten Nacht auf dem Menowsee. Das war erst achtundvierzig Stunden her – immer wieder erstaunlich, wie sich die Wahrnehmung verlangsamte, wenn man die Routine verließ. Ich blickte aufs gluckernde Wasser, das ich vor drei Tagen noch als überwiegend bedrohlich empfunden hatte. Ich sah zu den drei Typen am Tisch. Mark, der mit den Zähnen seine Fingernägel reinigte. Simon, der den Kopf in den Nacken gelegt hatte und, natürlich, an einer Fluppe zog, und Henner, der in sich versunken war, mit dem rechten Daumen an der Kante des Plastiktischs reibend. Eine grauschwarze Spinne baute direkt über Mark an einem Netz, wobei sie sich gelegentlich fast bis auf sein Kopfhaar herabließ, um kurz davor, als wisse sie von seiner Arachnophobie, den Rückzug anzutreten.
    Dann kam Finn-Lukas, mit vier Plastik-Schnapsbechern in den Händen, die kurzen Haare verwuschelt, in knielangen Camouflage-Hosen, was ziemlich cool aussah, und Anvil -Shirt, was ich äußerst lässig fand, schließlich gab es keine rührendere Metalband auf dem Planeten. »Von Papa«, sagte er, kletterte an Bord, stellte die Drinks ab und setzte sich zu uns. »Ich soll fragen, wo ihr morgen hinfahrt. Darf ich ›ihr‹ sagen?«
    »Klar«, antworteten wir im Chor, allesamt, wie ich meinte, ein bisschen stolz ob der Frage. Ich war

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