Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
versucht, dem Jungen die geballte Faust, horizontal gehalten, entgegenzustrecken und ghettomäßig » Re-Spect « zu nuscheln. Seltsam, dass sich Anerkennung durch Kinder so ganz anders anfühlte als jene, die man sich von Erwachsenen erkämpfte.
Mark holte die Karte und Cola für Finn-Lukas, wir kippten die Schnäpse, sanfte und aromatische Kirschbrände, löschten mit den definitiv vorletzten Bieren und diskutierten, wohin wir das Boot morgen steuern sollten. Wir könnten weiter in Richtung Süden fahren, aber nicht mehr sehr weit, wenn auch möglicherweise in interessante Gefilde, doch das eigentlicheRevier lag in der anderen Richtung – Neustrelitz, Schwerin, Müritz, sogar die Elbe könnten wir theoretisch anpeilen, wenn auch nicht befahren. Die Schleuse Dömitz markierte das Ende der Strecke, auf der man sich führerscheinfrei bewegen durfte, direkt an der Mündung der Müritz-Elde-Wasserstraße, weit mehr als hundert Kilometer Luftlinie von unserem jetzigen Standpunkt entfernt, wahrscheinlich fast zweihundert auf dem Wasser. Aber die Kanuten waren hier irgendwo, doch mir fiel kein Argument dafür ein, in dieser Ecke zu bleiben. Es war hübsch, fraglos, aber wir hatten ein Motorboot – und kein Familienzelt, das man irgendwo aufstellte, um dann vierzehn Tage lang Gänseblümchen beim Aufblühen und Grillkohle beim Ausglühen zuzuschauen.
»Auf jeden Fall Bredereiche«, verkündete Simon schließlich. »Mindestens. Vielleicht Fürstenberg, wenn wir es schaffen.«
Der Junge nickte fleißig, wiederholte »Bredereiche« und »Fürstenberg«, sprang von Bord. Keine halbe Minute später kehrte er zurück.
»Ich soll sagen«, begann er, die Hände vor der Tarnhose verknotend. »Wenn das für euch in Ordnung wäre. Dass ich vielleicht mitfahre.«
Wir nickten, ohne uns dafür abstimmen zu müssen. Klar doch, kleiner Schleusenheld. Finn-Lukas nickte mit, strahlend.
»Und ob Herr Simon« – er sah zu Simme – »zu Mama und Papa kommen könnte. In der Zeit.« Er hustete, schwer erkennbar, ob das schon Rhetorik war oder Folge eines Reizes. »Wegen der Sicherheit. Beim Fahren und so.«
Tag 4:
Spleißen
Spleißen – nautisch,
Tauwerk ineinanderflechten.
Ich rang der Besatzung mit fadenscheinigen Argumenten das Zugeständnis ab, noch den Templiner See aufzusuchen, bevor wir Kurs auf Bredereiche nähmen. Simon ging von Bord, Finn-Lukas kletterte zu uns, legte einen kleinen Rucksack mit Shaun-das-Schaf -Aufdruck auf den Tisch und begann anschließend eine Expedition über die Dahme . Sie endete, als Mark mit dem Klappfahrrad zurückkehrte, in dessen Korb eine Tüte frischer Brötchen und eine mit dem Logo einer Baumarktkette zu sehen war, die er stumm grinsend in seine Kabine schleppte. Der dickliche Junge löste die Heckleinen, Henner die vorderen, Mark steuerte uns vom Steg weg, drehte das Boot und visierte den größeren Teil des Sees an. Dann machte er einen Schritt zurück, schob den seltsamen Siebziger-Barhocker, der da stand, zum Lenkrad und bedeutete dem Kleinen, darauf Platz zu nehmen und den Pott nun zu lenken. Der glaubte erst, dass das ein Scherz wäre, kletterte dann aber auf den Hocker, nahm das Steuer, kniff die Augen zusammen und hielt ziemlich geschickt Kurs, sogar vorbei an einem Dampfer, der zum Hafen wollte, und einer Dreierfolge der großen Kastenhausboote, die mit uns im Lankensee gelegen hatten und die ein bisschen nach gestapelten IKEA -Billy-Regalen mit Walnussfurnier aussahen. Das Boot mit Walter, Sofie und Simon nahm hinter uns Kurs auf die Schleuse, begleitet von energischem Winken – Treffpunkt Bredereiche. Ich hielt das kleine Fernglas fest, als wäre es eine Wasserflasche und ich ein Typ in der Wüste, mit einem Fesselballon, einem Solarflieger oder ähnlich originellem Unsinn gestrandet, aber nirgendwo am Ufer oder auf dem See selbst oder dem dahinter – Fährsee – waren dunkelrote Kanus zu sehen. Allerdings umgaben uns weitere Wasserstraßen, die zu kleineren Seenführten, nördlich sogar einer, an dem ein Campingplatz lag, doch für uns war die Zufahrt versperrt.
Finn-Lukas, der seine Sache ziemlich geschickt machte, wendete schließlich den großen Topf, Mark kochte Kaffee, und Henner setzte Frühstückseier auf. Wir ankerten kurz, prepelten, fuhren wieder los, erreichten die Schleuse – keine Kanus weit und breit. Die Reiher, Libellen, Milane und Rehe, die danach zu sehen waren, empfand ich als deprimierend, und auch der Dampfer, der uns an der engsten Stelle begegnete,
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