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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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lehnte am Tresen, als ich das Foyer des Sportzentrums betrat. Er sah aus wie immer: fleckige, ehemals weiße Jogginghosen, farbgesprenkelte, ausgelatschte Turnschuhe, ein Shirt, das auch schon bessere Zeiten erlebt hatte, und darüber ein kurzer, graublauer Kittel, der aussah, als stamme er von einer Baustellenmüllhalde. Simons lockige Haare waren mit Gipsstaub bedeckt, Hände und Gesicht betupft mit den Resten von Dispersionsfarbe, Tapetenkleister und Fliesenkleber. Außerdem umgab ihn intensives Zigarettenraucharoma; er war schon von weitem olfaktorisch auszumachen, sicher würde es selbst in einer mehrere tausend Menschen großen Menge kaum schwerfallen, Simon zu finden, denn er stank nach Qualm wie ein brennender Berg alter Reifen.
    » Täubchen «, sagte er soeben. »Bei Simon gibt es Rendite . Viel Rendite. Das ist ein richtig gutes Geschäft.«
    Seine Worte waren an die junge Frau gerichtet, die hinter dem Tresen saß und ihn auf die Weise zu ignorieren versuchte, wie man das mit dem Geruch auf einer öffentlichen Toilette tut, die soeben von einem anderen zu Zwecken der Defäkation aufgesucht worden war – durchaus anerkennend, dass er existierte, dies aber mit jeder Faser des eigenen Körpers ablehnend. Sie genügte den Klischees einer Neunziger-jahre-Kampflesbe: extrem kurzes, schmuckloses Haar, kantiges, etwas breites Gesicht, ungeschminkt, aber gepierct, der drahtige, dezent gebräunte Körper in einem weiten Adidas-Trainingsanzug, um jedes Indiz für Feminität zu verbergen.
    Ich trat zu den beiden und flüsterte in Simons Ohr: »Bevor dir dieses Täubchen Geld leiht, lässt sie sich zum Pudel umoperieren. Lass stecken. Verpulverte Energie.«
    Simon grinste breit. »Einen Versuch ist es allemal wert.«
    Das Täubchen hob den Blick, ignorierte Simon weiterhin und sah mich stattdessen an.
    »Ein Platz auf Finke, zwanzig Uhr«, sagte ich. Sie deutete ein Nicken an, sah kurz auf den A3-Planer, der vor ihr lag. »Platz drei. Die anderen Herrschaften sind schon da.« Danach tat sie so, als wären wir nicht existent.
    Mark lümmelte auf der Bank herum und nickte freundlich zur Begrüßung, der baumlange Henner stand in seinem Edel-Sportoutfit auf dem Platzlinoleum und vollführte seltsame, zweifelsohne aber völlig wirkungslose Dehnübungen. Als er uns sah, ging er zur Bank, zog seinen schweineteuren Graphit-Composite-Schläger hervor, prügelte damit ein paar Mal gegen seinen Handballen und nickte ebenfalls, siegesbewusst. Das war nicht weniger als aktive Selbsttäuschung. Henner beherrschte das Spiel zwar prinzipiell, aber auf dem Platz beherrschte es ihn . Immer einen Schritt zu spät, immer etwas über- oder unterdosiert schlagend, völlig überambitioniert und aufs Äußerste verkrampft – so spielte der Pfarrer. Davon abgesehen hinkte Henners Motorik seiner Kognition um einiges hinterher; sein Körper war einfach zu schwerfällig. Dafür aber kannte er das Regelwerk in- und auswendig.
    Simon war der mit Abstand beste Spieler von uns, ausgestattet mit einem unglaublichen Ballgefühl und einem exzellenten Positionsspiel, aber seine angeschlagene Kondition versagte zumeist schon nach wenigen Minuten, so dass er sich zunächst immer weniger bewegte und schließlich keuchend Auszeiten forderte. Die verbrachte er, Sturzbäche nikotingetränkten Schweißes absondernd, erst kurz auf der Bank, um dann für zwei Minuten die Halle zu verlassen und draußen ein schnelles Rettchen – oder gar mehrere – zu rauchen. So ähnlich, wie er spielte, arbeitete Simon auch, wie ich – leider – aus erster Hand wusste, denn ich hatte den Fehler gemacht, ihn gleich zweimal zu engagieren: Anfangs legte er immer mit großer Verve los und raufasertapezierte auch maleben so einen Dreißig-Quadratmeter-Raum innerhalb einer knappen Viertelstunde, um dann sehr schnell das Interesse zu verlieren, Pausen einzulegen, stundenlang Material einzukaufen, das eigentlich vorhanden war, zu telefonieren oder einfach zu verschwinden und vorläufig nicht mehr wieder aufzutauchen.
    Mark zollte dem Badminton kaum Respekt, er tat das hier ohnehin nur aus Langeweile. Diese desinteressierte Entspanntheit führte zu vielen überraschenden Siegen, aber aus denen machte er sich ebenso wenig wie aus den Niederlagen. Ich bewegte mich irgendwo zwischen den dreien – gab mir Mühe und mochte das Spiel, schaffte hin und wieder einen wohlplatzierten Lob oder einen präzisen Schmetterball, jagte aber meistens nur den Bällen hinterher. Trotzdem machte mir

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