Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
und einem lockigen Anzugträger bestand. Der Rudergänger war offenbar kein Profi; der Kurs der Nussschale ähnelte einer unregelmäßigen Sinuskurve, aber die Tendenz war deutlich: auf uns zu.
»Scheiße«, konstatierte Mark.
Wir stoppten auf. Auch mit Simons speziellem Dieseltuning war es unserem Mehrtonner unmöglich, ein Rennen gegen das zwar schwach motorisierte, aber sehr leichte Bötchen zu gewinnen – spätestens an der Schleusenwartestelle würden sie uns einholen.
Es ging leichter Wind, ein paar der niedrigen Wellen wiesen kaum erkennbare Schaumkronen auf. Das kleine Albanerboot hüpfte, stellte sich plötzlich quer, nahm wieder Kurs auf uns. Der Chef brüllte Anweisungen. Das Boot kam uns zwar näher, aber es war wie eine zielsuchende Rakete, die zwei unterschiedliche Wärmequellen im Visier hat: irgendwie unentschlossen. Als sie etwa vierzig Meter von uns entfernt waren, geschah es. Der Bulldozer-Rudergänger riss die Pinne des Außenborders herum, um den Kurs zu korrigieren, das Heck des kleinen Bootes hob sich kurz, dann legte sich das Ding auf die Seite. Die Besatzung saß ungleich verteilt. Das Boot kippte, kenterte aber nicht, zwei Mann gingen dennoch über Bord. Im gleichen Augenblick machte das Fahrzeug einen Satz und flutschte an Steuerbord an uns vorbei. An der Stelle, an der ein Bodyguard und der Armaniträger ins Wasser gefallen waren, winkten baumdicke Arme.
»Nicht schwimmen«, brüllten einer von beiden.
»Sie können nicht schwimmen«, vervollständigte Mark und sah grinsend zu Henner.
»Interessant«, sagte ich und meinte das auch so. Unmittelbaren Handlungsbedarf sah ich eigentlich nicht.
»Wir müssen ihnen helfen«, verkündete jedoch Henner.
»Aye«, sagte Mark und setzte Kurs. Er hielt auf die Havaristen zu, schlug kurz vor ihnen das Ruder nach backbord ein, stoppte auf und drehte zugleich in die andere Richtung. Beinahe vollendet. Ich kletterte aufs Dach, löste den Rettungsring aus der Verankerung und warf ihn über Bord – das hatte ich schon tun wollen, seit ich das Rettungsmittel erstmals erblickt hatte. Henner turnte zum Heck und klemmtedie Badeleiter fest, danach hielt er den Bootshaken über die Reling. Eine Minute später waren die triefnassen Männer an Bord.
»Das verändert einiges«, sagte der Chef nüchtern. Selbst heftig durchweicht sah er noch recht lässig aus – und der Anzug saß nach wie vor exzellent. Er musterte uns nacheinander, aber der geschäftsmäßig-joviale Gesichtsausdruck war einem anderen gewichen. Fraglos hielt er uns – wie gehabt – für Menschen, die es eigentlich nicht verdienten, dieselbe Galaxis mit ihm zu teilen, aber da war auch etwas Anerkennendes, beinahe Bewunderndes. Ich schämte mich augenblicklich dafür, dass mir das gefiel .
Wir folgten dem sich auf der Stelle drehenden Motorboot und brachten es längsseits neben uns. Auch der dritte Albaner fiel beim Versuch, auf die Tusse zu klettern, noch ins Wasser, wodurch er das nasse Trio komplettierte.
»Wollen Sie eine Linie ziehen, zur Entspannung?«, fragte Mark, als wir zu sechst auf der Terrasse hockten und auf die rasch anwachsenden Pfützen um die Albanerfüße herum starrten. Auf dem Wasser war nicht viel Verkehr, und der See war groß – keine Notwendigkeit also, den Anker zu werfen. Das Schiff trieb im leichten Wind in Richtung Südufer.
Henner und ich setzten gleichzeitig an, um der Idee energisch zu widersprechen. Aber der Obermotz grinste erfreut und deutete ein Nicken an. Also gingen Mark und er in den Salon, um sich etwas Koks einzupfeifen.
»Scheiß Angewohnheit«, sagte ich.
Henner nickte. »Ich mache mir Sorgen um Mark.«
Ich sah ihn an, sein ernstes, für seine Verhältnisse sehr entschlossenes Gesicht, und bemerkte relativ erstaunt, dass es mir ähnlich ging. Ich machte mir auch Sorgen um Mark. Und um Simon. Um Henner. Etwas Bemerkenswertes war geschehen: Ich empfand freundschaftliche Gefühle für die drei, und das wiederum fühlte sich gut an. Widerstand zwecklos – ichmusste erfreut lächeln. Henner missdeutete das wohl und zog die Stirn kraus. Ich schüttelte den Kopf.
»Übrigens mache ich mir auch Sorgen um dich«, sagte er dann.
»Ich auch«, erwiderte ich.
Die muffeligen Bodyguards waren unter Deck aus ihren Klamotten gestiegen und trugen Badetücher um die Hüften, als sie jetzt auf die Terrasse zurückkehrten. Sie lächelten. Okay, es handelte sich nicht um echtes Lächeln, sondern eher um etwas, was ein eingesperrter Tiger macht, der
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