Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
innerhalb einer Woche klar Schiff machte, deutlich geringer als eins zu sechsunddreißig ausfiel. Selbst mit vier oder fünf Nullen an der Zahl stimmte das Verhältnis nicht. Es war praktisch ausgeschlossen. Andererseits – wir hatten immerhin Zeit gewonnen. Angeblich ja das kostbarste Gut von allen.
»Wir müssen eine Lösung finden, gemeinsam«, sagte Henner und nahm sein Bier. »Aber nicht mehr heute.«
»Gute Idee«, sagte Simon, nickte uns grinsend zu, stand auf und schlenderte zur Hafenmeisterei.
Ich lag in der Badehose auf dem Vordeck und genoss die späte Nachmittagssonne, Simon plauderte – oder pimperte bereits – mit der Hafenmeisterin, Mark schlief oder pumpte sich mit Drogen voll, Henner saß auf der Heckterrasse und schwätzte mit einer älteren Dame, die auf dem Nachbarschiff saß und an einer Pudelmütze strickte – eine äußerst originelle Beschäftigung bei geschätzten zweiunddreißig Grad im Schatten. In meinem Kopf rotierten wilde Gedanken umeinander, darunter diffuse Ängste, mein Leben in exakt einer Woche und die Tage danach betreffend, aber auch Cora, Rosas obskure Kurznachricht, Marks Drogensucht, Henners Nichtglauben und das Chaos, aus dem Simons Leben bestand, spielten kurz ihre Rollen. Erstaunlicherweise gelang es keinem dieser Gedanken, ein allgemeines, ziemlich entspanntes Wohlgefühl zu verdrängen, das ich trotz der Vorgänge des Tages grundsätzlich empfand und für das es eine simple Erklärung gab: Mir machte diese Reise tatsächlich großen Spaß. Mehr noch, ich musste das Erinnerungsintervall weit strecken, um eine schönere, interessantere Zeit in meiner jüngeren Vergangenheit zu finden. Bei diesem Gedanken wurde ich melancholisch, denn wir hatten nur noch zwei volle Tage – übermorgen, am Abend, würden wir in den Heimathafen zurückkehren, um die Tusse dann früh am Morgen des folgenden Tages abzugeben.
»Na du«, sagte jemand und entriss mich den Gedanken, eine weibliche Stimme, dann schwankte das Boot kurz; Anna kletterte an Bord und setzte sich neben mich. Sie trug ein hellgrünes Bikinioberteil und weiße Shorts, ging barfuß; ihr solide gebräunter Körper war wie die Gussform für ein weiblichesIdeal. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns wiedersehen. Wann war das? Vor einer Woche?«
Ich konnte nur verblüfft nicken. »Sechs Tage«, sagte ich dann leise. »Schleuse Steinhavel«, ergänzte ich.
Anna schwieg lächelnd und betrachtete unser Schiff.
»Willst du etwas trinken?«, fragte ich.
»Wir fahren morgen früh zur Basis zurück«, antwortete sie. »Mir ist nach Sekt. Habt ihr welchen?«
Ich schüttelte den Kopf – wenn ich etwas sicher wusste, dann, dass wir keinen Alkohol mehr an Bord hatten. »Wir könnten zum Restaurant gehen und dort was trinken.«
»Oder uns etwas holen und es woanders trinken«, schlug sie vor. »Gute Idee«, urteilte sie umgehend, quasi für mich mit, und stand auf.
»Ich ziehe mir kurz was an«, sagte ich.
»Wozu?«
»Ich fühle mich dann wohler.« Meine Cargohose und das T-Shirt mit dem Aufdruck »Overworked and underfucked« (das Geschenk eines Verlagskollegen) lagen im Salon. Als ich wieder an Deck erschien, stand Anna neben Henner. Beide lächelten, Henner sagte etwas, was ich nicht verstand. Ich verspürte einen Anflug von Eifersucht. Der verging aber sofort wieder: Auf dem Steg nahm Anna einfach meine Hand. Henner warf mir einen missbilligenden Blick zu, in dem gleichzeitig etwas Verständnisvolles, fast Zustimmendes lag. Auf dem Boot bleibt auf dem Boot. Ich musste blinzeln, um gegen das irritierende elektrisierende Gefühl anzukämpfen, dass die weiche, warme Hand in meiner hinterließ, aber das gelang nicht, umso weniger als Annas Daumen meinen Handballen leicht zu streicheln begann.
Anna erwarb eine Flasche vergorenen Traubensprudel an der Restaurantbar, außerdem trug sie zwei Plastikbecher, als sie wieder vor mir stand, dann sah sie sich suchend um. Am von uns aus gesehen rechten Steg lagen drei rustikale Holzhausboote,ich nickte in diese Richtung. Anna grinste. Wir schlichen zum hintersten und enterten den Verschlag. Das kleine Schiff in Floßbauweise barg im glühend heißen Innenraum zwei unbehandelte Holzbänke und ein Chemoklo. Es roch nach altem Schweiß, Seewasser und Sonnencreme. Oder ich glaubte zumindest, dass es danach riechen würde. Irgendwas stimmte nicht, aber ich verdrängte den merkwürdigen Gedanken. Anna nahm im Schneidersitz auf der einen Bank Platz und reichte mir wortlos die
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