Leiden sollst du
zu haben.
Wenn ein Täter sich die Mühe machte, Leichen auf eine spezielle Weise herzurichten, tat er das nicht aus Spaß, wusste Daniel aus jahrelanger Erfahrung. Mörder besaßen selten Humor. Durch seine Opfer wollte der Killer eine Botschaft vermitteln. Ein Hinweis auf ihre Vergehen? Oder zeigte er der Polizei damit nur seinen Stinkefinger?
Daniel glaubte nicht, dass es ihm allein darum ging, zu beweisen, wie clever er war, dass er morden konnte, ohne erwischt zu werden, dafür war er zu gezielt vorgegangen. Er hatte nicht wahllos Gliedmaßen abgetrennt, sondern musste sich im Voraus darüber Gedanken gemacht haben. Er hatte einen Plan entworfen, einen präzisen, was Opfer, Ort und Tötungsart betraf. Lust an der Grausamkeit mochte eine Rolle spielen, aber da war mehr.
Die Männer gehörten zu einem Puzzle mit Leichen. Wenn Daniel sie zusammensetzen konnte, würde er das Motiv des Mörders erkennen, aber so weit war er noch nicht. Ihm fehlten Teile, hoffentlich atmeten diese noch, wenn er sie fand.
Ihm fielen die getöteten Ratten in der Vöku ein. Sechs. Bisher waren nur drei Tote aufgetaucht. Julia, Schardt und Schnapper.
Plötzlich fragte er sich, ob der Straftäter mit den Leichen jemanden warnen wollte: Halte dich bedeckt oder du bist der Nächste. Unweigerlich musste er an Benjamin denken, der so verschlossen war wie noch nie. Auch die zertretenen Rattenföten sprachen eine deutliche Sprache: Ich zerquetsche euch unter meinen Sohlen.
Ihm kam die Mutterratte in den Sinn. War Julia möglicherweise schwanger gewesen?
Adrenalin rauschte durch seine Adern. Schneller als man das mit zwei Fingern erwartete, gab er ihren Namen ein, rief ihre Akte auf und las den Bericht des Gerichtsmediziners.
26
Nichts. Mist!
Ob vielleicht die Freundin des Täters ein Kind erwartet hatte? War ihre Fruchtblase auf der Party geplatzt und Schardt und Lenz hatten ihr weder selbst helfen noch einen Arzt rufen wollen, sodass das Baby starb? Eventuell sogar auch die Mutter bei der Geburt? Allerdings hatten die Polizisten, die letztes Jahr nach der vermissten Julia die Grundstücke der Volksküche und der Nachbargelände durchkämmten, keine Hinweise auf eine Geburt gefunden. Doch Daniel wurde den Verdacht nicht los, dass die Ermittler den Fall damals nicht gründlich genug untersucht hatten, weil sie davon ausgegangen waren, dass Julia abgehauen oder betrunken in den Rhein gefallen war. Voreilige Schlüsse waren fatal und unprofessionell. Er las die Namen der Kollegen, kannte aber keinen der beiden.
Zu viele Fragen, zu wenig Antworten. Stöhnend fuhr sich Daniel mit der Hand durch die Haare und streckte seinen Oberkörper.
Etwas zu laut stellte Tom sein Glas auf den Tisch. „Ich könnte dir bei deinen Überlegungen helfen.“
„Das geht nicht“, sagte Daniel und schloss die Datei.
Während er sprach, drehte er das Glas unentwegt. „Theorien diskutieren hat uns immer ein gutes Stück weitergebracht.“
„Diesmal nicht. Tut mir leid.“ Er durfte Tom nicht einweihen, weil er ihn sonst in ein berufliches Dilemma brachte, dem er ihn nicht aussetzen wollte. Daniel fühlte sich ja selbst wie ein Judas.
Aber er hatte dennoch einen Partner: Marie. Darüber hinaus hatte er Kontakte, wie Vasili aus der Abteilung Computerkriminalität, konnte die Polizeidatenbanken über Tom oder Leanders Zugang sicherlich hin und wieder heimlich nutzen und erfuhr von seinem Freund die Ermittlungsergebnisse.
Wenn er darüber nachdachte, steckte er bereits mitten in einem neuen Fall. Nicht einmal Kriminaldirektor Voigt und die Spacken von der Personalabteilung hatten ihn davon abhalten können. Zufrieden lächelte er in sich hinein.
Plötzlich kam ihm eine Idee. Die Polizei Köln wegen Diskriminierung zu verklagen würde nicht reichen, um seine alte Stelle im KK 11 zurückzubekommen. Es brauchte mehr. Zum Beispiel einen Mord aufzuklären. Wie der an Julia Kranich. Er würde auf seinem Tablet PC zu Hause seine eigene Fallakte anlegen und dort alles eintragen, was Marie und er an Informationen gesammelt hatten. Heimlich würde er weiter nachforschen und den Fall lösen. Dann wollte er Voigt die Infos auf den Tisch knallen, ihm drohen, ihn zu verklagen und die Presse in seinen Feldzug einzubeziehen, und ihm somit gleich drei Klingen an die Kehle halten.
„Dein Grinsen besagt nichts Gutes.“ Tomasz nippte an seiner Cola und sah ihn über den Rand des Glases an. „Du heckst doch etwas aus.“
„Ich? Ich bin nur ein Rollstuhlfahrer,
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